Den Tiger reiten

Aufsatz von Hartwig Berger,
erschienen in Kommune, Zeitschrift für Politik – Ökonomie – Kultur 4/2009

Zu Logik und Moral eines weltweiten Emissionshandels

Die in Kopenhagen stattfindende Weltklimakonferenz dürfte ein Schlüsselereignis im zu Ende gehenden Jahr 2009 sein. Der Klimawandel verändert die Lebensumstände weltweit schneller und umfassender als noch vor Jahren selbst die pessimistischen Szenarien erwarten liessen. Wahrschenlich ist die große Mehrheit der verhandelnden Regierungsdelegationen mit der Verantwortung schlicht überfordert. Hängt doch selbst der Fortbestand der gegenwärttigen Zivilisation mit davon ab, dass ein Verhandlungsprozeß zwischen 180 Parteien mit unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Interessen in durchschlagende und verbindliche Beschlüsse münden – und zu deren schneller Realisierung führen muss.

Verhandelt wird in Kopenhagen nicht “nur” über Reduktionsziele, Lastenverteilungen und Ausgleichszahlungen in der Klimapolitik. Thema werden auch ökonomische Instrumente sein, die geeignet erscheinen, eingegangene Pflichten verbindlich zu machen und Aufwendungen zu Energiewende, Klimaschutz und Klimaanpassung weltweit finanziell zu unterfüttern. Mit Sicherheit gehört dazu die Frage, ob der bisher vor allem in der EU und in einigen Staaten der USA begonnene Emissionshandel mit dem Treibhausgas CO2 auf andere Regionen, vielleicht auch zu einem weltweiten Regime ausgeweitet werden kann und soll. Im folgenden Artikel plädiere ich für einen Emissionshandel als weltweit verbindliches Regelwerk, wobei ich weniger seine ökonomische Funktionsweise im Detail, dafür mehr seine Eignung im Auge habe, drängende Fragen der internationalen Klimagerechtigkeit zu lösen.

Sinn und Nutzen von Emissionshandel beurteilen ökologisch und sozialkritisch engagierte NGOs sehr unterschiedlich. Organisationen wie “Climate Action Network”, die Heinrich-Böll-Stiftung oder das Wuppertal Institut befürworten einen Emissionshandel und seine globale Ausweitung, allerdings mit deutlich anspruchsvolleren Regeln, als sie bisher in Europa und in den US-Staaten vorgegeben sind. Andere wie die 163 unterzeichnenden Organisationen der “Durban Declaration on Carbon Trading” oder führende Vertreter von Attac bewerten den Emissionshandel als neoliberal motiviertes Manöver, das eine Weltwirtschaft auf fossiler Energiebasis weiter auf Kurs halten soll. Von einer modernen Form des Ablasshandels mit Emissionsrechten ist die Rede und von einer ökonomischen Instrumentalisierung der Erdatmosphäre zu einer Abfalldeponie mit privatisierten Zugangsrechten.

Emissionshandel in der EU

Das bislang avancierteste Realexperiment für Emissionshandel, das Regelwerk der EU, macht die angesprochene Ambivalenz in der Einschätzung nachvollziehbar.

Bis weit in die 90er Jahre haben EU-Kommission und EU-Parlament mehrfach und vergeblich versucht, durch Einführung einer umfassenden Energie- oder CO2-Besteuerung externe Umweltkosten fossiler Energieerzeugung zu internalisieren. Diese Bemühungen sind durch das Wirken einer mächtigen industriellen Gegenlobby, aufgrund fehlenden Drucks aus einer kaum existenten europäischen Öffentlichkeit und institutionell vor allem an der erforderlichen Einstimmigkeit im europäischen Steuerrecht gescheitert. So war es weitsichtig und konsequent, dass die Kommission ab 1998 auf einen anderen Weg der klimapolitischen Regulierung umschwenkte, den Emissionshandel, und bereits ab 2005 alle Mitgliedstaaten auf dessen gemeinsamen Beginn verpflichten konnte. Erfolgsgründe waren neben einer beachtlichen Planungseffizienz in Brüssel der zunehmende Druck, die CO2-Reduktionsziele erreichbar zu machen, auf die sich die EU im Kyoto-Protokoll verpflichtet hatte. Institutionell ausschlaggebend war schließlich, dass der Europäische Rat im Umweltrecht anders als im Finanzrecht, nämlich mit qualifizierter Mehrheit, entscheiden kann.

Allerdings waren die Eintrittsregeln des Emissionshandels wenig anspruchsvoll und der nationalstaatliche Rahmen ihrer jeweiligen Ausgestaltung sehr weit gesteckt. Damit konnte sich in weiten Kreisen klimapolitisch engagierter NGOs ein Negativbild vom Emissionshandel überhaupt festsetzen. Die hohe Komplexität des Regelwerks, das nur einer geschulten Fachwelt durchschaubar war, tat dabei das Ihre.

So gelang es der deutschen Kohle- und Schwerindustrie, mit Unterstützung aus SPD-geführtem Wirtschaftsministerium und Kamzleramt, selbst gegen die damalige Grüne Regierungsbeteiligung ein erstes Handelssystem von 2005-2007 durchzusetzen, das Skeptiker des Emissionshandels nur bestätigen konnte. Als erstes erreichte die Allianz der Bremser, dass die beteiligten Stromkonzerne und die energieintensive Indsutrie weniger an Treibhausgasen reduzieren mussten, als sie noch Ende der 90er Jahre als freiwillige Selbstverpflichtung zugesagt hatten. Folge war, dass die internationale Verpflichtung – minus 25% CO2 bis 2010, gerechnet auf 1990 – in erster Linie durch Privathaushalte, den Verkehrssektor und weniger energieintensive Unternehmen zu erbringen war.

Als zweites wurde in Deutschland, wie in nahezu allen EU-Staaten, zunächst eine kostenlose Zuweisung der Zertifikate vereinbart. Dadurch konnten die Stromkonzerne Extragewinne realisieren, indem sie die Wertsteigerung durch die gratis überlassenen Zertifikate auf den Strompreis überwälzten. Ein Gutteil der seit 2005 stark gestiegenen Stromkosten ist dieser Praxis zuzurechen. Marktwirtschaftlich war das zulässig, für das öffentliche Ansehen des Emissionshandels hingegen ohne Zweifel fatal.

Schließlich setzte die Lobby eine Reihe sie begünstigender Regelungen durch, wie Ausnahmen für besonders energieintensive Industriezweige und die Regelung des “grandfathering”, anstelle des “benchmarkung”: Fossile Kraftwerke erhielten CO2-Lizenzen aufgrund ihrer tatsächlichen Treibhausgas-Generierung, also gemäß ihrer vorhandenen – und inzwischen “großväterlichen – technischen Ausstattung. Sinnvoller und zukunftsgerichtet wäre gewesen, sie nach den inzwischen erreichbaren technischen Effizienzstandards einzustufen. Nunmehr aber konnten veraltete Kohlekraftwerke ohne finanzielle Verluste weiter betrieben werden. Als Druckmittel zu technischen Innovationen, die den Einsatz fossiler Ressourcen zumindest deutlich verringern, war die erste Etappe (nicht nur) des deutschen Emissionshandels weitgehend ungeeignet. Ihre falsche Liberalität hat mit dazu geführt, dass gegenwärtig in Deutschland rund 30 neue Kohlekraftwerke in Planung oder in Planungsvorbereitung sind.
Die EU-Vorgaben für die folgenden Etappen lässen hingegen eine bemerkenswerte Planungsintelligenz der Kommission erkennen. In der ersten Phase ging es darum, überhaupt erst ein marktbasiertes Regelwerk zur Begrenzung und anschließend Einschnürung von CO2-Emissionen zu etablieren. Um den Einstieg durchsetzbar zu machen, blieben die Anforderungen schwach, aus ökopolitischer Sicht eindeutig zu schwach. Für die Beurteilung entscheidender ist allerdings, ob die Regelungen der Folgezeit den Spielraum fossiler Energiegewinnung immer mehr einengen und verteuern und immer weniger Auswege und Ausflüchte zulassen.

Eine erste Bewertung der inzwischen verbindlichen EU-Richtlinie für die erste post-Kyoto-Phase, von 2013-2020, erlaubt hier ein vorsichtig positives Urteil. In der medialen Öffentlichkeit wurde diese Richtlinie aufgrund ihrer zweifellos noch vorhandenen Kompromisse zu Unrecht vorwiegend negativ kommentiert. Eine unvoreingenommene Sicht ergibt hingegen folgendes Bild:

Das Emissionsbudget der beteiligten Unternehmen – knapp 50% der europäischen Energieerzeugung und -Nutzung – wird konsequent schrittweise verringert. Ab 2010 jährlich um 1,74%, so dass der vom Emissionshandel erfasste Sektor 2020 gegenüber 2005 seinen “CO2-Umsatz” um 21% verringert, gegenüber 1990 also um mindestens 25%. Zusätzlich ist vorgesehen, die Reduktionsquoten dann entsprechend zu steigern, wenn sich die EU in Kopenhagen auf stärkere Beschränkungen verpflichtet. Notwendig für die EU-Wirtschaft sind aus Sicht der Klimaforschung mindestens minus 40% bis 2020.

Zum zweiten wird die bisher zugelassene kostenlose Zuweisung von Emissionslizenzen weitgehend aufgehoben. Ab 2013 müssen alle CO2-Zertifikate für die Stromerzeugung ersteigert, also käuflich erworben werden, wobei die Ersteigerungserlöse zunächst in die Kassen der Einzelstaaten fießen. Eine verpflichtende Abgabe für internationale Klimamaßnahmen ist erst in Diskussion. Auf jeden Fall sind damit die schönen Tage der kostenlos zugelassenen Atmosphärenverschmutzung für Europas Stromkonzerne und Industrie definitiv vorbei. Allerdings wird das Bild durch Ausnahmen und Abschwächungen für energieintensive Industrien und einige Nationalstaaten wie Polen noch merklich getrübt.

Emissions- als Ablasshandel?

Der Exkurs zum EU-Emissionshandel kann zunächst nur ein gemischtes Urteil über die Eignung des Emissionshandels als wirksames Klimaschutz-Instrument rechtfertigem. Zu vorsichtigem Optimismus gibt die deutliche schrittweise Verschärfung der Regelungen Anlaß. Erkennbar wird eine mögliche Strategie, den gefährlichen Wachstumszwang fossiler Energienutzung nicht nur zu stoppen, sondern in eine Spirale der unerbittlichen Schrumpfung umzubiegen. In dieser Möglichkeit liegt der Reiz, die Faszination – vielleicht aber auch die Verführung – eines weltweiten Systems von Emissionshandels, das ich nun diskutiere.

Zunächst ist auf den politisch-moralischen Vorwurf einzugehen, dass der Emissionshandel eine moderne Form von Ablasshandel installiere, das Gehäuse der fossilen Hörigkeit nicht sprenge, sondern einem Wirtschaften auf fossiler Energiebasis den Ausweg bietet, die Kohlenstoff-Vermüllung der Erdatmosphäre durch Freikauf weiter zu betreiben. Diese Kritik überspielt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Ablasshandel im alten Europa und dem Emissionshandel und stellt dadurch ungewollt die Dinge auf den Kopf. Der religiöse Ablasshandel bot einen (bedingten) Freikauf für ein Handeln an, das vorher wie nachher als verwerflich, als “Sünde”, galt. Der Emissionshandel hingegen verbindet den “Freikauf” mit der erstmaligen Sanktionierung eines Handelns, das seit Beginn der Industrialisierung auf Basis fossiler Ressourcen bis in die Gegenwart unhinterfragt als zulässig galt.
Der Skandal besteht also nicht darin, dass die Vermüllung des Himmels – wie etwa im Mittelalter Ehebruch, Völlerei oder Habsucht – schon immer als “Sünde” galt und nun mit einer Ablasszahlung moralisch entlastet wird. Sondern er liegt darin, dass die Emissionen in den Himmel bis in die Gegenwart als selbstverständliches Recht und natürlich ohne moralische Skrupel praktiziert werden. Folgenreich bekundet sich die Haltung scheinbarer Unschuld darin, dass wir eine immer intensivere Klimadebatte in derselben historischen Zeit erleben, in der die Verbrennung fossiler Energieträger weltweit in einem beispiellosen Tempo zunimmt. Von 1995 bis 2000 stiegen die weltweiten CO2-Emissionen um 8%, von 2000 bis 2005 bereits um 16%. Einzig die Weltwirtschaftskrise hat im vergangenen und wird im laufenden Jahr einen leichten Einbruch bewirken.

Die Erteilung von CO2-Zertifikaten wie sie der Emissionshandel organisiert setzt der Praxis des “anything goes on the sky” erstmals Grenzen und verbindet das, sofern ernsthaft betrieben, damit, die Grenzen in definierten Zeitintervallen immer enger zu ziehen. Das ist das ziemliche Gegenteil eines Ablasshandels, durch den nach entsprechender Zahlung ein verwerfliches Handeln mit kirchlichem (oder im modernen Fall weltlichem) Segen entlastet wird. Dem Emissionshandel diese moralische Entlastungsfunktion zuzuschreiben, ist historisch falsch – und politisch leichtfertig angesichts der enormen Schwierigeiten, überhaupt weltweite Vereinbarungen im Klimaschutz durchzusetzen.

Wem “gehört” der Himmel?

Eine zweite zentrale Kritik am Emissionshandel ist der Einwurf, er privatisiere die bisherige Gemeinpraxis einer Nutzung der Erdatmosphäre und treibe so den Besitzindividualismus der Kapitalwirtschaft auf die Spitze. “ (Mit dem Emissionshandel) wird dieAtmosphäre aus einer globalen Allmende in ein privates Gut durch hoheitlichen staatlichen Akt verwandelt. Es werden zwar keine privaten Eigentumsrechte vergeben (das wäre unpraktikabel), sondern staatliche Verschmutzungsrechte mit der impliziten Unterstellung ausgegeben, dass Naturstücke einen Wirt benötigen, der an ihrer schonenden Bewirtschaftung Interesse hat.”

Belegt werden kann diese Einschätzung an der besonderen Art der Austeilung von Emissionsrechten, wie sie z.B. das EU-System in seiner Anfangsphase vorsah: Akteure des Handels sind ausschließlich Unternehmen, die einen spezifischen Minimalaufwand an Energie aufweisen. Sie erhalten im ersten Schritt kostenlose Zertifikate, also ein privatrechtlich gesichertes Verschmutzungsrecht am Himmel.

Die These einer wenn auch nur symbolischen Privatisierung des Himmels wird von Verfechtern eines konsequenten Emissionshandels entschieden bestritten . Sie entwickeln diesen vielmehr umgekehrt aus der Annahme, dass die Erdatmophäre ausschließlich als ein global common, als Gemeinschaftsgut der Menschheit betrachtet und behandelt werden kann und sollte. Global commons implizieren global commoning, die Verantwortung und moralische Pflicht, für die Lebens- und Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsgüter zu sorgen. Seit Anbruch des fossilen Zeitalters wird diese Verpflichtung von immer mehr Menschen und Gesellschaften in krasser Weise verletzt.

Mit einem weltweiten Emissionshandel kann und soll diesem Zustand schrittweise ein Ende gesetzt werden. Da der Himmel Gemeinschaftsgut Aller ist, müssen alle Akteure, die ihn durch Kohlenstoff belasten, die immer zeitlich befristete Lizenz dazu käuflich erwerben. Die Gelder fließen in eine Art globalen Fonds, den “Sky Trust”, welcher der Menschheit insgesamt zu eigen ist. Aus dem Fonds muss das Geld entweder zu jeweils gleichen Teilen an alle Mitinhaber zurückgezahlt oder – besser – für Maßnahmen des Klimaschutzes, der Klimaanpassung und der Wiederherstellung der eingeschränkten biologischen Regenerationsfähigkeit der Erde verwendet werden.
Eine Schwäche der hier nur skizzierten Argumentation besteht darin, dass der Sinn einer Deklarierung des Himmels -wie auch des Wassers, der Erde, der Weltmeere etc. – zur globalen Allmende schwer oder nur mit skurrilen Konsequenzen einlösbar ist. Wer wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Ernst den Himmel, unhintergehbares und unabdingbares Grundelement allen Lebens, einer einzigen Tiergattung zueignen wollen? Auch wenn diese Spezies durch ihre stetig wachsende Zahl, enorme Nutzungsansprüche und herausragende Intelligenz absticht?

Ohne Rückgriff auf die klassische monotheistische Lehre, dass ein Weltschöpfer die Menschen zu “Herren und Nutznießer der Erde” eingesetzt habe, kann dieser vermessene Anspruch kaum “begründet” werden. Ein Rückblick auf die Eigentumslehre der frühen Neuzeit, etwa bei John Locke, bestätigt das. Ausgangspunkt von Lockes Argumentation ist, dass Gott die Erde den Menschen – und nur ihnen – zum gemeinsamen Eigentum gegeben hat. Nur weil es den allen gemeinsamen Anspruch auf Eigentum gibt, kann dieses in einem zweiten Schritt durch individuelle Bearbeitung von Natur exklusiv gemacht, privatisiert werden. Und da – dritter Schritt – über die Einführung von Markt und Geld Eigentum auch eine handelbaren Ware werden kann, lässt es sich über den Bedarf der Selbsterhaltung hinaus auch unbegrenzt akkumulieren . Die Deklarierung eines Gemeineigentums der Menschnheit steht nicht im Gegensatz zum kapitalistischen Privateigentum, sondern sie wird zu dessen Rechtfertigung vorausgesetzt.

Wenn wir mit der Annahme einer “globalen Allmende Himmel” nicht den Weg in besitzindividualistische Wirtschaftspraktiken neu öffnen wollen, sollten wir sie besser als eine Art neuen Gesellschaftsvertrag verstehen, der ausdrücklich festlegt, dass weder Privatpersonen noch die Menschheit als Ganze über die Naturressource “Himmel” verfügen. Und der zweitens besagt, dass jede Nutzung dieser Ressource an die Verpflichtung gebunden sein muss, für die Erhaltung der Erdhülle in ihrer vollen Lebens- und Funktionsfähigkeit zu sorgen. Das Recht eines global common reduziert sich damit auf die Pflicht zum global commoning für Alle und Jeden
Seit Beginn der fossilen Industrialisierung springen wir mit der Erdhülle genau anders um. Seiner fortschreitenden Anreicherung mit Treibhausgasen sind bisher kaum Grenzen gesetzt; eine Sorgfaltspflicht, die dem Einhalt gebietet, ist mit dem Kyoto-Protokoll bisher nur partiell, unzureichend und zeitlich begrenzt institutionalisiert. Ein weltweiter Emissionshandel eignet sich gerade dann als Schritt zur Behebung dieses planetarischen Mißstandes, wenn er eine jährliche Obergrenze zulässiger Gesamtemissionen fixiert und diese Grenze in klaren Zeitintervallen so herabsetzt, dass die jetzt schon ncht mehr einzudämmende Dynamik des Klimawandels wenigstens beschränkt bleibt. Das entspricht der Zielmarge eines als erfolgreich zu bezeichnenden internationalen Abkommens, wie es zu Jahresende in Kopenhagen zum Beschluss ansteht

Die Regel gleicher Emissionsrechte

Ein weltweiter Emissoinshandel wäre nur eine der möglichen ökonomischen Strategien zur Erreichung vereinbarter Klimaziele und er kann mit Sicherheit nur eines der Instrumente sein, das zum Einsatz kommen sollte. Allerdings hat er als internationales Regelwerk drei wichtige Vorteile:

  • Er bietet ein überzeugendes Entscheidungskriterium zur Frage, wie Emissionslizenzen berechnet und verteilt werden können,
  • er gibt eine sinnvolle und praktikable Lösung für das Problem der Herstellung internationaler Klimagerechtigkeit, und
  • er setzt auf die weltwirtschaftlich eingeübte Routine des Markthandelns, um sie jedoch schrittweise zu demontieren.

In der Vergabe weltweiter Lizenzen für kohlenstoffhaltige Emissionen bietet sich als ethisch überzeugender Ansatz die Annahme gleicher Emissionsrechte pro Person, unabhängig und ungeachtet ihre regionalen Zugehörigkeit, ihrer gesellschaftlichen Stellung oder ihrer materiellen Ausstattung. Sofern bestimmte Gesellschaftsschichten, Staaten oder Korporationen relativ mehr Emissionsrechte beanspruchen als andere, müssen sie das eigens und plausibel begründen können. Zur Klärung dieser Frage können wir uns an Gerechtigkeitsheorien der Gegenwart orientieren und zum Beispiel das “Differenzprinzip” von John Rawls als Leitfaden nehmen.

In vereinfachter Formulierung verlangt dieses Kriterium, dass ungleiche Lebensverhältnisse nur dann als gerecht und gerechtfertigt zu begründen sind, wenn die am schlechtesten Gestellten vom Zustand der Ungleichheit relative Vorteile erwarten können; wenn sie also zum Beispiel in einer nicht egalitären Gesellschaft mehr Grundgüter zum Leben und zu einem Leben in Würde haben. Die lange industrialisierten Länder und die urbanen Mittel- und Oberklassen könnten ihre stärkere Vermüllung des Himmels dann rechtfertigen, wenn die sie bedingende wirtschaftliche Aktivität das Leben der ländlichen Schichten im globalen Süden wie der Unterklassen und Slumbewohner gegenwärtig und in Zukunft verbessert.

Bekanntlich ist das Gegenteil der Fall. Alle Studien zu absehbaren Folgen des Klimawandels weisen darauf hin, dass die überhöhten Emissionen der eben genannten Klassen und Regionen die Lebensbedingungen der Armen weltweit und der bäuerlichen Schichten in tropischen und subtropischen Gebieten, also der gering oder gar nicht an der Vermüllung Beteiligten, verschlechtern. Verheerende Wirbelstürme werden vor allem Südasien, Mittelamerika und die Karibik treffen. Unter “El Nino” leiden Südamerika und Afrika, die Flächen und Erträge an Nahrungsmitteln werden in erster Linie von der Sahel Zone bis Äthiopien, in Südafrika, Ostchina, in Asien weiträumig um den Himalaya und in der Andenregion zurückgehen. In vielen hoch emittierenden Ländern der nördlichen Hemisphäre sind hingegen steigende Agrarerträge zu erwarten. Und es werden die Armen und Ärmsten sein, die mit der Überschwemmungen steigender Weltmeere aus dichtbevölkerten Küstenregionen vertrieben werden. So trägt Bangla Desh mit im Vergleich extrem geringen Emissionen pro Kopf nicht zum Klimawandel bei, doch Millionen Bengalen bekommen schon heute seine Folgen existentiell zu spüren.

Immer deutlicher zeichnet sich eine Spaltung der Weltgesellschaft ab in Hauptverursacher, die wenig unter dem Klimawandel zu leiden haben und Opfer , die nicht oder nur geringfügig zum Problem beitragen. Unter diesen Umständen stellt sich ein Beharren auf überhöhten Emissionsansprüchen immer eklatanter als krasse Ungerechtigkeit mit lebensbedrohlichen Folgen für Millionen heraus. Mit Sicherheit wird das in den benachteiligten Schichten und Regionen so gesehen und gewertet. Insbesondere die altindustriellen Länder geraten allein aufgrund ihrer enormen historischen Last fossiler Energiegewinnnung in ein Glaubwürdigkeitsdilemma. Angesichts solcher globalen Gerechtigkeitskonflikte ist schwer vorstellbar, wie es bei Beharren auf dem status quo ungleicher Emissionsrechte überhaupt gelingen soll, zu einer weltweit anerkannten Klimavereinbarung zu kommen – und deren Realisierung auch durchzuhalten.

Klimagerechtigkeit

Nur die Zuweisung gleicher Emissionsrechte pro lebender Person eröffnet also eine gerechte und insofern konsensfähige Startlinie für einen weltweiten Kohlenstoffhandel. Gerade weil diese vorweg anzunehmende Gleichheit im Emissionsverhalten seiner tatsächlichen Unterschiedlichkeit kraß widerspricht, bietet der Emissionshandel mit seiner Startlinie zugleich einen Weg zu begrenzter Wiederherstellung von Klimagerechtigkeit. Aufgrund eines für alle gleichen Start”kapitals”, das sich aus den pro Kopf durchschnittlichen Emissionen errechnet, kann jeder überdurchschnittlich Emittierende seinen Status nur dann und insoweit halten, als er das Recht dazu aus dem Kreis Derer käuflich erhandelt – oder auf einem globalen Markt ersteigert -, die aufgrund ihrer unterdurchschnittlichen Emissionen das ihnen zugewiesene Startkaptal nicht nutzen.

Ein weltweiter Kohlenstoffhandel, basierend auf egalitären Rechten, bietet also einen Ansatz wie eine Rechtfertigung für umfassende finanzielle Transfers aus den reichen in die armen Gesellschaften und Schichten der Erde. Dieser Transfer ist nicht nur ein Gerechtigkeitsausgleich, sondern zugleich eine immer dringender werdende Notwendigkeit, um in den von Klimawandel hauptsächlich betroffenen Ländern und Schichten eine zügige solare Energiewende sowie Maßnahmen zur Anpassung an und zur Kompensation erlittener Schäden durch Klimawandel zu finanzieren. Gegenwärtig werden die Kosten, die die wirtschaftlich entwickelte Welt dafür jährlich aufzubringen hat, auf rund 100 Mrd. Euro geschätzt.

Da ich mich hier auf Logik und Moral eines weltweiten Emissionshandel beschränke, will ich Fragen der praktischen Umsetzung nur anreissen. Ein weltweites Regelsystem, das allen lebenden Menschen individuelle Emissionsbudgets zuweist und darüber den Handel organisiert, dürfte allein an seiner enromen Komplexität scheitern sowie an der Tatsache, dass die Mehrheit der Menschen abseits von überregionalem Markthandeln lebt und wirtschaftet. Als eher realitätstüchtiger Weg bietet sich die Zuweisung addierter Emissionsrechte an Einzelstaaten an, die als Kollektivsubjekte den internationalen Handel und Austausch organisieren. Vorstellbar ist, dass die Gelder aus dem Kauf zusätzlicher Emissionsrechte nicht direkt in die wenig emittierenden Staaten fließen sondern teilweise oder gänzlich in einen internationalen Fonds, aus dem gemeinsam von der UNO und den beteiligten Einzelstaaten Maßnahmen der Solarwende, des Klimaanpassung und der Katastrophenkompensation finanziert werden.

Ein Nachteil dieses System liegt darin, dass es das Problem innerstaatlicher Klimagerechtigkeit nicht in Betracht zieht. Schließlich sind die Emissionsbudgets innerhalb der Länder höchst ungleich verteilt. Nicht die Reichen sondern die Armen der Dritten Welt haben unter dem Klimawandel zu leiden; während die wohlhabenden Schichten dieser Länder durch ihren Lebensstil ähnlich wie die Mittel- und Oberklassen der altindustriellen Länder massiv zum Klimawandel beitragen. Umgekehrt sind die gering Verdienenden des Nordens deutlich weniger an der Vermüllung des Himmels beteiligt. Ein als gerecht anerkennungsfähiger Emissionshandel muss also weltweiten mit innerstaatlichem Ausgleich verbinden können.

Ein Weg innerstaatlichen Ausgleich herzustellen wäre, den Finanzausgleich aus dem internationalen Fonds für die Empfängerländer mit kontrollierten Erwartungen gleichzeitiger Armutsbekämpfung, Slumsanierung und Förderung in ländlichen Gebieten zu verbinden. So stellt allein die Umstellung der Energieversorgung ländlicher Regionen auf dezentrale solare Potentiale für Dörfer eine klare Verbesserung ihrer Lebensumstände dar.

In Regionen wie der EU könnte ein innerstaatlicher Ausgleich an das bereits entwickelte System des Emissionshandels anknüpfen: Nach gegenwärtigem Stand müssen knapp 50% der Emissionslizenzen von den am Handel beteiligten Unternehmen mit hohem Energieumsatz erworben werden. Die größere Hälfte der zulässigen Emissionen wird also durch Privathaushalte, Betriebe mit geringerem Energieeinsatz und den Verkehr verursacht. Statt diese Sektoren unter hohem organisatorischen Aufwand in den Emissionshandel zu integrieren, kann eine allgemeine Energiesteuer erhoben werden, bei allerdings gleichzeitiger Deckelung des durch fossile Ressourcen abgedeckten Energekonsums. Der Teil des finanziellen Gesamtertrags – gegenwärtig rund 50%,- der den unterdurchschnittlich emittierenden Weltregionen zusteht, fließt in den internationalen Fonds.

Der andere Teil kann zum einen zur Beschleunigung der innerstaatlichen Energiewende eingesetzt, zum anderen in gleichen Teilen allen Bewohnern des Landes zurückgezahlt werden. Da wohlhabende Schichten einen überdurchschnittlichen, arme Klassen einen unterdurchschnittlicen Energieumsatz erwarten lassen, findet damit eine wenngleich begrenzte finanzielle Umversteilung im Land statt.

Den Tiger reiten

Auf ein Standardargument gegen den Emissionshandel in der Klimapolitik gehe ich abschließend ein: Ein Grundfehler bestünde darin, dass er Ordnungsrecht und regulierendes Staatshandeln zurückstellt und stattdessen zu einseitig auf Marktmechanismen setzt. Kapitalistisches Wirtschaften zielt jedoch immer auf die Expansion von Märkten und ist daher prinzipiell ungeeignet, die Nutzung von Naturkapital -hier: fossile Energieträger und durch sie generierte Treibhausgase – einzudämmen.

Diese Kritik hat den Reiz eines konsequent gestalteten weltweiten Emissionhandels nicht recht begriffen. Ein Markt für atmosphärische Verschmutzungslizenzen wird mit einem anderen Ziel und damit auch einer anderen Grundregel eingerichtet als wie normalhin Warenmärkte im Kapitalismus funktionieren. Märkte im gängigen Verständnis sind dann erfolgreich, wenn sich ihr Wirkungsbereich und ihr Warenumsatz ausweitet, wogegen Marktschrumpfungen ein untrügliches Zeichen für Krise und Niedergang sind. Der Emissionshandel funktioniert dagegen nur solange expansiv, wie in seinen Anfängen immer mehr Wirtschaftsbereiche und Regionen in sein System integriert werden. Im weiteren Verlauf hingegen ist zentrale Voraussetzung seines Funktionierens, dass die Menge der gehandelten Zertifikate schrittweise verkleinert und schließlich gänzlich zum Verschwinden gebracht wird. Erst dann ist kommt der weltweite Kohlenstoffkreislauf wieder ins Gleichgewicht.

Im Gegensazu zu anderen Kapitalmärkten ist es das langfristige Ziel eines Marktes für Verschmutzungslizenzen, sich selbst als Markt aufzuheben. Die Obergrenze zulässiger Emissionen bzw. Waren gilt absolut. Zudem wird mit dieser Grenze die Menge handelbarer Waren kontinuierlich gesenkt. Mit der schwindenden Summe der Zertifikate soll der gigantische weltweite Gasballon der treibhauswirksamen Emissionen Jahr für Jahr an Volumen verlieren. Der Einsatz von Geldkapital dient direkt einer Reduzierung der Inanspruchnahme von Naturkapital. Das ist so ziemlich das Gegenteil von heute vertrauter Kapitalwirtschaft mit ihrer notorisch zunehmenden Vernutzug von Naturkapital.

Die hier betrachtete Marktlogik negiert für ihr Feld Schritt für Schritt die Logik der Kapitalwirtschaft. Der Emissionshandel hat sein Endziel erreicht, wenn er aufgrund und durch seine Erfolge seinen Markt wieder aufhebt oder zumindest auf eine sehr niedrige Warenmenge zurückschraubt. Jede Lizenz, die Atmosphäre zum Schaden des Lebens und damit auch der Menschen auf der Erde zu belasten, muss am Ende entfallen. Ein konsequenter Emissionshandel bedient sich zwar marktwirtschaftlicher Methoden und reitet, weltweit organisiert, auf dem Tiger der wirtschaftlichen Globalisierung. Aber er reitet, um diesem den Gifthauch der Treibhausgase zu rauben.
Die “Logik” des Emissionshandels führt dazu, den durch ihn geschaffenenen Markt schrittweise wieder aufzuheben. Seine “Moral” hingegen wird in und mit diesem Prozess überhaupt erst realisiert: Nur solche Regelungen der Klimapolitik haben die Chance, als gerecht anerkannt zu werden, die jedem lebenden Menschen den gleichen Anspruch an klimawirksamen Emissionshandels zugestehen. Beim gegenwärtigen Stand, dem Startpunkt eines Emissionshandels, ist diese gerechte Lösung zugleich klar unmoralisch. Der weltweite Durchschnittswert tatsächlicher Emissionen liegt gegenwärtig mit gut 4 Tonnen pro Person und Jahr weit oberhalb einer klimaverträglichen Grenze. Einen ethisch vertretbaren Rechtsanspruch, die Treibhausentwicklung weiter anzuheizen, kann es nicht geben, auch nicht gleichverteilt unter alle Lebenden.

Im strikten Sinn moralisch wäre allein die sofortige Reduzierung aller Emissionen auf ein Niveau, das mit dem Kohlenstoffkreislauf der Erde verträglich ist. Das ist eine so wünschenswerte wie zugleich utopische Forderung. Ein ethisch vertretbares Hilfspostulat in diesem globalen Dilemma ist ein verbindliches Programm, die Emissionen so schnell und zügig, wie es die gemeinsamen Anstrengungen nur gestatten, auf einen verträglichen Nullpunkt zu bringen.

Genau das soll ein konsequenter und weltweiter Emissionshandel leisten. Der anfängliche Auseinanderfall von Gerechtigkeit und Moral wird als provisorischer Zustand hingenommen, um unter anderem über die besondere Marktlogik des Handels in einem überschaubaren Zeitraum ein umweltverträgliches Gleichgewicht im Kohlenstoffzyklus wiederherzustellen. Wie das Ziel eines konsequenten Emissionshandels seine Selbstaufhebung ist, so wäre die Versöhnung von Gerechtigkeit und Moral im Umgang mit dem Erdhimmel sein Ergebnis.

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