Noch eine Ethik-Kommission?
von Hartwig Berger


Mai 2011

  
   


Brauchen wir eine Ethik-Kommission, für eine Zukunft ohne Atom und Kohle? Immerhin eine Jahrhundertaufgabe. Erwählt von einer Bundeskanzlerin, die politisch vorzugsweise „auf Sicht“ fährt? Bei der Opposition stieß das auf Skepsis bis Ablehnung. Der Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung gab das ihm angetragene Mandat umgehend zurück, wohl unterstützt von Bundesvorstand und Fraktionsspitze der Grünen. Die SPD tat sie, in den Worten von Andrea Nahles, als „Alibi-Veranstaltung“ ab. Und auch von der Linken war kein Verständnis zu erwarten.

Natürlich kann die Energiewende nicht an eine Handvoll Professoren, Theologen und Interessenvertreter delegiert werden. Entscheiden müssen die Volksvertreter, schließlich sind sie dafür gewählt. Was hier zur Klärung ansteht, ist jedoch so weitreichend, dass der Marsch durch Kabinette, Parlamente und im Zweifelsfall das Verfassungsgericht formaldemokratisch zwar richtig, gesellschaftspolitisch aber nicht ausreichend ist. Langfristige Weichenstellungen wie die anstehende sollten nicht mit jeder Neuwahl und Legislaturperiode umgestoßen werden. Welches Chaos so gestiftet wird und zu welchen Halbwertzeiten das führt , haben die Beschlüsse zur Laufzeitverlängerung der AKWs vom vergangenen Herbst gezeigt.

Eine zugleich klimaverträgliche Energiewende ohne Atom braucht eine breite Akzeptanz und damit aktive Unterstützung in der Umsetzung. Schließlich soll von 83% fossil-nuklear erzeugtem Strom – so derzeit - auf 100% „erneuerbar“ – so 2030, spätestens 2050 - umgesteuert werden. Ohne eine Mobilisierung der Wirtschaft ist das nicht zu erreichen. Und schließlich sollen alle Bauwerke im Land so verändert, „saniert“ werden , dass sie nur noch einen kleinen Teil ihrer heutigen Wärmezufuhr benötigen. Von den generellen Erfordernissen eines fortan maßvollen Umgangs mit Energie zu schweigen. Förderprogramme, Gesetze und Vorschriften sind dafür sicher notwendig. Dennoch kommen wir ohne gleichzeitige gesellschaftliche Mobilisierung nicht weit.

Was hat das mit „Ethik“ zu tun? So ziemlich nichts, wenn eine von oben ernannte Kommission dem staunenden Volk erklärt, was für die einzuleitende Energiewende zu tun und zu lassen sei. Auch nicht, wenn selbiges Gremium definitiv bekannt gibt, in welchem Jahr der letzte Meiler im Land seinen nuklearen Geist aufzugeben. Lernprozesse, erst recht moralische Maßstäbe, lassen sich nicht verordnen, sie entwickeln und verändern sich in einer breiten, viele Menschen umfassenden Verständigung bei zu Beginn immer konträren Sichtweisen. Welche Risiken – zum Beispiel – ist eine Gesellschaft bereit hinzunehmen, nachdem sie aus Fukushima endgültig gelernt hat, dass Atomkatastrophe eben nie auszuschließen und prinzipiell unvorhersehbar sind? Eine Ethik-Kommission hat das selbst nicht zu beantworten, kann aber ermutigen, dass der Alptraum der möglichen Katastrophe nicht weiter verdrängt wird. Ähnlich stellt sich das mit Fragen wie der, ob und wie lange eine Übergangszeit der Restnutzung für hinnehmbar gehalten wird? Oder der, ob in einer Zwischenphasen fossil betriebene Kraftwerke länger am Netz gehalten werden? Oder ob man damit negative Signale an die ohnehin stagnierende internationale Klimapolitik sendet? Oder ob gegebenenfalls steigende Strompreise für breite Sozialschichten überhaupt zumutbar oder wie vermeidbar sind?

Eine Ethik-Kommission wird so unvermeidliche wie dringende gesellschaftliche Debatte um eine nuklear- wie CO2-freie Energiewende nicht ersetzen, aber sie kann wichtige Anstöße geben. Es war ein gutes Zeichen, dass dieses Gremium im April fernseh-öffentlich tagte und für die Anhörung eine Palette unterschiedlicher Einschätzungen zu Wort kommen ließ. Da muss man sich auch mal (er)schlagende Argumente anhören, wie den RWE-Betriebsrat, der „Atom“ gegen „Solar“ mit den besseren Tarifverträgen verteidigte. Ende Mai will das Gremium, nach einer weiteren TV-öffentlichen Debatte, seinen Bericht einreichen. Ob es sich, letztlich autoritär und von oben herab, herausnimmt, den richtigen Weg zur Energiewende zu empfehlen; oder ob es in weiser Selbstbeschränkung die verschiedenen Alternativen mit ihren jeweiligen Folgen, Risiken und impliziten Wertentscheidung darlegt: das wird sich erst dann zeigen.

Es war ein Fehler, ja eine Dummheit, dass die Bundeskanzlerin in der Zusammensetzung Umweltverbände wie Anti-Atombewegung übergangen hat. Gleichwohl haben wir es mit einem durchaus heterogenen Gremium zu tun. Man darf gespannt sein, ob - und wenn wie - der weltbekannte Soziologe Ulrich Beck mit dem Münchener Erzbischoff Reinhard Marx in Urteilen und Empfehlungen zusammenkommt, oder Michael Vassiadis, Chef der Chemiegewerkschaft, mit Miranda Schreurs, Professorin für Umweltpolitik. Möglich, dass in einigen ethischen Grundfragen Konsensus erreicht, für die Ausgestaltung der anstehenden Transformation des Energiesystems aber verschiedene Wege und Alternativen aufgezeigt werden. Das wäre nicht von Nachteil, weil der Ethikrat letztlich „nur“ Anregungen und Anstöße für einen gesellschaftlichen Klärungsprozess geben kann, zu dem in einer Demokratie prinzipiell Alle gefragt sind. In einer kulturell wie sozial hoch differenzierten Gesellschaft wird es den oft beschworenen Konsens wohl nicht geben; möglich ist aber ein Arrangement und eine breite Mobilisierung, ohne die das so wichtige wie anspruchsvolle Ziel einer Zukunft ohne Atom und Kohle kaum zu erreichen ist.

 

Aufsatz Ethik-Komminssion als Downlaod