von Hartwig Berger
Die Veröffentlichung dieses Artikels war für Oktober 2010 mit der Meinungsseite der taz abgesprochen. Die Zusage wurde nach mehreren Wochen ohne plausible Begründung zurückgezogen.
Am 21. August 2010 war der globale „overshoot day“. Das ist der Tag, an dem rechnerisch alle in diesem Jahr nachwachsenden Ressourcen dank menschlicher Aktivitäten vorzeitig verbraucht sind. In der klimapolitischen Diskussion findet dieses Datum noch zu wenig Beachtung. Dabei lernt jedes Schulkind, dass Pflanzen wachsen und gedeihen, indem sie Kohlendioxid aus der Luft filtern. Um das Übermaß dieses Gases mit Treibhauswirkung einzudämmen, müssen fossile Energieträger wie Kohle und Erdöl künftig unter der Erde bleiben. Wir müssen uns jedoch genauso dafür engagieren, dass – zum Beispiel – neue Wälder wachsen, Feuchtgebiete erhalten bleiben und Grasland aller Art nicht weiter schwindet.
Seit Jahren ignoriert die Energiepolitik der Europäischen Union und insbesondere die von Deutschlands die genannte Schulweisheit. So ist die Quote für „Biosprit im Tank“, die EU-weit 2020 erreicht werden soll, auf 10% festgesetzt. In Deutschland sollen es dann sogar 13% sein. Dabei zeichnen sich bedenkliche Folgen schon jetzt deutlich ab: Intensivierte Landwirtschaft mit höherer Klimabelastung, Importe von Palmöl und Biodiesel aus Ländern, in denen Regenwald vernichtet, Kleinbauern enteignet und indigene Völker verdrängt werden, Verschärfung von Lebensmittelkrisen, weil regionaler Getreideanbau von Energiepflanzen verdrängt wurde. Auch der Hinweis auf Zertifizierungen von Agro-Kraftstoffen kann nicht beruhigen. Ob es zukünftig gelingt, den Welthandel so in umwelt- und sozialverträgliche Bahnen zu lenken, ist fraglich. Gegenwärtig jedenfalls sichern wir unsere im Weltvergleich luxuriöse Mobilität mit einem „Bio“-Sprit Polster ab, auf Kosten armer Länder und Bevölkerungen.
Ähnliche Entwicklungen sind jetzt mit dem CO2-Emissionshandel zu befürchten. Beginnen wir mit der guten Nachricht: Die Regeln der EU zwingen die am Handel verpflichtend beteiligten Unternehmen, in der Summe ihren CO2-Ausstoß schrittweise zu verringern. Gleichzeitig müssen sie Jahr für Jahr mehr Emissionsrechte auf dem Markt ersteigern. Die Atmosphäre zum Schaden des Weltklimas zu verschmutzen, kommt sie also immer teuer zu stehen. Vor allem die Betreiber von Kohle-Kraftwerken müssen sich da etwas einfallen lassen.
Bisher ist in dieser Szene Forstwursteln angesagt. So bemühen sich manche Energiekonzerne mit staatlichem Segen und Förderung um eine Technik, die es erlaubt, das entstehende Kohlendioxid wieder in die Tiefen der Erde zu befördern. Allerdings zeichnen sich die Pferdefüße dieser „carbon capture and storaging“ Technik, kurz: „CCS“ genannt, bereits ab. Sie ist so kostspielig, dass verschiedene Unternehmen in Dänemark, Norwegen – und in Deutschland RWE – wieder davon Abstand genommen haben. Ihre Wirkung bei zugleich stark erhöhtem Energieaufwand ist unvollständig und lückenhaft. Und die Möglichkeit unterirdischer Lagerung ist von derart vielen Fragezeichen und Risiken umwölkt, dass in absehbarer Zeit ohnehin nicht mit ihr zu rechnen ist. In Deutschland verfolgt sie gegenwärtig nur noch Vattenfall, politisch unterstützt von einer ganz großen Koalition, schwarz-gelb in Berlin plus rot-rot in Potsdam.
Eine zweiter Schritt, die Lebensdauer von Kohlekraftwerken zu verlängern, führt im doppelten Wortsinn auf Holzwege. Er nutzt ein Schlupfloch im EU-Emissionshandel: Wenn der Strom neben Kohle durch zugefeuertes Holz erzeugt wird, so gilt es in dieser Hinsicht als CO2-neutral und entlastet somit im Zertifikate-Handel. Holz wird, wie Biomasse insgesamt, den erneuerbaren Energieträgern zugeschlagen. Bei genauerem Hinsehen werden dadurch aber wichtige Unterschiede verdeckt. Biomasse ist begrenzt verfügbar und wird durch Verbrennung zunächst vernichtet. Sonne, Wind, Wasser und selbst Erdwärme sind unerschöpflich und können im Energieeinsatz nur genutzt, nicht verbraucht werden. Biomasse ist eine stark verwundbare Energieressource, wie am immer frühzeitigeren Eintritt des eingangs genannten „overshoot day“ sinnfällig wird. Zudem setzt ihr Energieeinsatz zwangsläufig CO2 frei, während die unerschöpflichen Energieressourcen eine direkte Stromerzeugung ohne Einsatz der uralten Technik des Verbrennens zulassen.
Wieder ist Vattenfall-Deutschland ein Pionier auf dem Holzweg. Der Konzern will mit zunächst 6-8 Millionen Tonnen pro Jahr einsteigen, die überwiegend in Steinkohle-Kraftwerke zugefeuert werden sollen. Da der EU-Holzmarkt schon heute überlastet ist, müssen solche Mengen außereuropäisch beschafft werden. Vattenfall will dafür zunächst Holzpellets von nicht mehr nutzbaren Kautschukbäumen aus Liberia beziehen. Dass wertvolles Edelholz verfeuert wird, ist ebenso fragwürdig wie der Abtransport aus einem Land, dessen arme Bevölkerung das Holz braucht und das sinnvoller Energie aus eigenen Ressourcen erzeugen sollte. Da Liberias überalterte Kautschukplantagen den deutschlandweiten Bedarf Vattenfalls für höchsten 2-3 Jahre abdecken, kann das Geschäft auch nur ein Einstieg sein. Der Zugriff auf weitere Holzreserven und damit unweigerlich auf Wälder und Baumbestände ist vorprogrammiert. Was das beim potentiellen Handelspartner Russland mit seinen riesigen Waldbeständen bedeutet, haben die Berichte zu den sommerlichen Großbränden allgemeinkundig gemacht. Wald gilt der dortigen Regierung als gewinnbringende Rohstoff-Ressource, nicht als zu schützender Bestand.
In Afrika, einem weiteren potentiellen Lieferanten für den europäischen Energiehunger, wären die Folgen noch weitreichender. Die ohnehin fortschreitende Vernichtung der unersetzlichen Regenwälder wird dadurch gefördert. Neben dieser schleichenden Umweltkatastrophe sind die sozialen Wirkungen fatal. Schon jetzt verdrängt die Landnahme von Konzernen aus Europa und Asien in vielen Gebieten Kleinbauern aus ihren angestammten Ländereien. Ein erheblicher Teil dieser okkupierten Flächen wird dann für den Energie- und Papierbedarf Europas kultiviert. Zum zweiten kollidiert der Holzimport für unseren Energiehunger mit dem existentiellen Holzbedarf der einheimischen Bevölkerung. Immer mehr Menschen nutzen die ohnehin weniger angegriffenen und schwindenden Holz-Ressourcen für ihren dringenden Alltagsbedarf. Eine sowohl sozial wie ökologisch wichtige Aufgabe der Entwicklungs-Zusammenárbeit wird daher sein, durch bessere Kochmethoden und durch solar betriebene Kocher den übermäßigen inländischen Holzbedarf in Afrika zu verringern. Zusätzlich Holz als lebensverlängernde Maßnahme für europäische Kohlekraftwerke zu exportieren, ist da eindeutig kontraproduktiv.
Die Energiekonzerne der EU werden so zwar ihre inländische CO2-Bilanz herunterrechnen können; sie werden das aber auf Kosten des Weltklimas, der biologischen Vielfalt und auf dem Rücken einer Bevölkerung tun, die von den fragwürdigen Segnungen unseres Wirtschafts- und Konsum-Stils ausgeschlossen bleibt.
Hartwig Berger ist promovierter Philosoph und Soziologe. Er war Sprecher der BAG Energie der Grünen und ist für das Ökowerk Berlin aktiv.