Der Anfang vom Ende – Zur Weltklimakonferenz in Kopenhagen

von Hartwig Berger

Kopenhagen, 12.Dezember:
Mit 24 Weltsegeln, zahllosen Transparenten und Plakaten zieht die Menschenmenge aus Kopenhagens Zentrum zum „Bella Center“, dem Schauplatz der wichtigsten Weltkonferenz seit Jahrzehnten. Selbst Dänemarks Polizei, die sich wenige Stunden später durch willkürliche Festnahmen und die Käfighaltung friedlicher Demonstranten welt“berühmt“ macht, zählt mehr als Hunderttausend Akteure. Bemerkenswert viele sind aus Afrika, Asien und Lateinamerika angereist. Die klimatisch zugespitzte Situation in vielen ihrer Herkunftsregionen prägt Stimmung und Gesprächsthemen des alternativen Gipfels, den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus aller Welt am Rande der offiziellen Weltkonferenz über die gesamten 12 Tage durchführen.

In Foren und Workshops wird in zumeist überfüllten Räumen debattiert. Die Stadt Kopenhagen hat dazu ein weiträumiges und zentral gelegenes Sportzentrum zur Verfügung gestellt. Im deutlichen Kontrast zur dänischen Regierung, die sich auf der Straße durch Verfolgungswahn gegen Demonstranten und im Konferenzsaal durch ungeschickte, schlechte Verhandlungsführung hervortut, engagiert sich Kopenhagen überall sichtbar und positiv für Klimaschutz und gibt den Kritikern des offiziellen Gipfels viel Raum und Möglichkeiten. Und während jener schon in den ersten Tagen im Morast staatlicher Egoismen und in kurzsichtiger Poker-Mentalität stecken zu bleiben scheint, wird auf dem Alternativgipfel ernsthaft und ausführlich diskutiert, wie die zu anbahnende umfassende Krise der Zivilisation wenigstens begrenzt werden kann.

Die Treibhausgase weltweit, allen voran in den alt-industriellen Ländern schrittweise, deutlich und in einem rechtsverbindlichen Rahmen zu senken, ab sofort und um 80% bis 2050, ist „nur“ das eine zentrale Anliegen. Denn der Klimawandel mit teils verheerenden Folgen ist in vielen Regionen schon jetzt harter Alltag. Dort er trifft er ganz überwiegend Menschen und Gesellschaften, die am Rande oder unterhalb des Existenzminimums leben. Die Kleinbauern der Sahelzone, am Andenhochland oder an den Hängen des Himalaya wissen nicht mehr, wann und wie sie aussäen sollen, weil sich die Regenzeiten verschieben und die Intensität der Regenfälle verändert. Brunnen und Wasserstellen trocknen aus, ein über Jahrhunderte eingeübtes System der Bewirtschaftung funktioniert nicht mehr. Den Hirtenvölkern in Ostafrika oder Zentralasien stirbt das Vieh, weil die Weidegründe verdorren. Und nicht nur in New Orleans, auch in vielen ärmeren Ländern werden Küstenzonen und ganze Städte von Stürmen unbekannter Stärke und Heftigkeit überschwemmt und verwüstet. Wer weiß schon, dass das arme Haiti durch Hurrikans 2004 20% und im Jahr 2008 17% seines Bruttosozialprodukts verlor?

Die Klimawandel treibt ein sarkastisch anmutendes Spiel. Vor allem Regionen und Bevölkerungsschichten, die ihn doch nicht verursacht haben, leiden heute und morgen unter teilweise verheerenden Folgen. Die vorwiegend verantwortlichen Länder und Sozialklassen sind dagegen merklich weniger betroffen. In manchen der verantwortlichen Länder – wie in Russland oder Kanada – scheint man sich sogar Vorteile zu erhoffen, wenn Permafrostböden auftauen, das Polarmeer schiffbar wird und die Grenze des Getreideanbaus sich nach Norden verschiebt.

„Klimagerechtigkeit“ ist daher die zentrale Forderung aller zum Klimagipfel aktiven NGOs. Die Staaten der Erde, unter deren Regie historisch wie gegenwärtig der Klimawandel überwiegend entstand, müssen in erster Linie für die Folgen aufkommen. Ihre kumulierte Klimaschuld wird doppelsinnig verstanden. Die fortgesetzte Nutzung fossiler Energieträger ist in moralischer Sicht schuldhaft, da sie Menschen schädigt und existentiell gefährdet. Sie ist zugleich eine ökonomische Verschuldung, ein ungedeckter Kredit der Umweltdegradierung, der zu begleichen ist.

Diese Sicht der Dinge macht die Heftigkeit und teilweise Erbitterung verständlich, mit der staatliche wie nichtstaatliche Vertreter betroffener Länder in Kopenhagen auf unzureichende oder ausbleibende Verhandlungsangebote aus altindustriellen Ländern reagierten. Neben entschiedenen Reduktionsverpflichtungen kritisieren sie die Verleugnung historischer Verantwortung und praktischer Konsequenzen daraus. Zwar hat die EU zu Konferenzbeginn erste Zahlungen – je 2,4 Mrd. € von 2010-2012 – zur Finanzierung von Klimaanpassung und der solaren Energiewende in Entwicklungsländern in Aussicht gestellt. Und Hilary Clinton verkündete am drittletzten Verhandlungstag einen für die USA erstmaligen Schritt. Es bleibt aber bei nicht verbindlichen Willensbekundungen; auch ist nicht klar, ob als Gegenrechnung – wie die deutsche Bundesregierung Ende November beschlossen hat – Mittel aktueller Entwicklungszusammenarbeit zusammengestrichen werden und ob Hilfen als rückzahlbare Kredite vergeben werden.

Vor allem aus afrikanischen Ländern wird erwartet, dass durch umfangreiche Anpassungsmaßnahmen den stark gefährdeten Bauerngemeinden, Hirtenvölkern und den urbanen Slumbewohnern ein Überleben vor Ort ermöglicht wird. Die Berichte aus Bangla Desh verdeutlichen ein weiteres Problem: Nahezu ein Fünftel des mit derzeit 150 Mio Menschen stark übervölkerten Landes wird 2050 voraussichtlich dauerhaft überschwemmt oder durch Versalzung unbenutzbar sein. Und nicht nur am Golf von Bengalen werden zahllose Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Organe der UNO beziffern die wahrscheinliche Zahl der Klimaflüchtlinge bereits für 2030 auf 200 Mio Personen. In den übervölkerten Elendsvierteln der südlichen Megastädte werden sie kaum eine Überlebensmöglichkeit finden. Hier sind die für den Klimawandel verantwortlich zeichnenden Gesellschaften, durchaus auch ihre Aufnahmebereitschaft, gefragt.

Kopenhagen, 19. Dezember:
Nach fast einhelliger Auffassung der Kommentaren muss die Weltklimakonferenz als gescheitert gelten. Trotz 2wöchiger Beratungen, der vielen Vorbereitungskonferenzen und ungeachtet der Anreise von 120 Staatschefs wird lediglich ein allgemeines Abschlussprotokoll zur Kenntnis genommen. Es ist rechtlich nicht bindend und enthält keinerlei konkrete Verpflichtungen über Treibhausgas-Reduktionen, Lastenverteilungen und Zeitpläne. Wenn man die Selbstverpflichtungen einiger Hauptemittenten wie der USA, der EU, Chinas, Indiens, Russland oder Brasilien addiert, wird die Erderwärmung im Jahr 2050 mit 3-40 katastrophal aus dem Ruder gelaufen sein. Das immerhin feierlich vereinbarte 20 Ziel erscheint bis auf weiteres unerfüllbar.

War Kopenhagen der Anfang vom Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen? Das industrielle Zeitalter, das auf die Nutzung fossiler Energieträger gebaut ist, treibt jedenfalls beschleunigt der Selbstzerstörung zu. Bleibt die Hoffnung, dass eine bisher versagende Staatengemeinschaft das Ruder doch noch herumreißt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

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