Helios kam vom Mittelmeer – Wie ist eine Solarwende in Südeuropa möglich?

von Hartwig Berger

Der Erfolg einer Energiewende in Europa entscheidet sich am Mittelmeer, im Süden unseres Kontinents. Nirgendwo ist die Sonneneinstrahlung so intensiv wie von der Ägäis bis zum portugiesischen Atlantik – und vielfach kömmt Dauer und Stärke der Windkraft nordatlantischen Verhältnissen durchaus nahe. Stromversorgung bis 2030 voll durch Sonne und Wind, ergänzt um etwas Bioenergie und vor allem um Speichertechnik : Für Nordeuropa ist das nur schwer zu errechen, in Andalusien, Sizilien, Zypern oder Südportugal gelänge das weit schneller und wirkungsloser.

Wenn nicht…: In genau diesen Regionen herrscht bezüglich einer Energiewende Windstille, inzwischen gefördert durch den Gegenwind im schwarz/rot regierten Deutschland. Den Bogen der Solarfeindschaft schießt Spanien ab, dessen regierende „Volkspartei“ Einspeisevergütungen sogar rückwirkend gekürzt hat und versucht, die längst wirtschaftliche Eigenversorgung mit Strom durch eine deftige Sonnensteuer zu blockieren. Die Regierung gibt ganz offen zu, dass sie damit die großen Energiekonzerne wie Endesa und Iberdrola schützt, indem sie den Absatz der „konventionellen“ Kraftwerke sichert. In das Bild passt der zielstrebig verfolgte Plan, die Betriebsdauer der spanischen Atomkraftwerke – teilweise zu Zeiten der Franco-Diktatur geplant und errichtet – auf 60 Jahre zu verlängern.
In anderen südeuropäischen Ländern sieht es kaum besser aus. In Portugal liegen hoffungsvolle Ansätze einer Energiewende auf Eis. Italien gibt bisher nicht zu erkennen, dass es die von Renzi vielbeschworenen Wachstumschancen, die gerade in diesem Bereich unstrittig sind, zu nutzen gedenke. Und Griechenland steht weiterhin im Würgegriff der Troika-Auflagen, dass bisher an eine Solarwende nicht gedacht wird.
Gibt es angesichts dieser trüben Realität Chancen, den Energiereichtum von Sonne und Wind gerade im krisengeschüttelten Südeuropa zu nutzen? Es gibt sie, wenn wir uns von der vertraut gewordenen Gewohnheit verabschieden, dort den Aufbau erneuerbarer Energienutzung vor allem mit dem Instrument der Einspeisevergütung zu denken. Dieses war ein ausgesprochen erfolgreicher Weg, übrigens auch in Spanien, in den Anfängen und noch heute vielversprechend in Regionen, die weniger die Segnungen der Sonnekraft genießen als z.B. die Zonen des Mittelmeers. Hier rechnen sich Sonne und Wind inzwischen günstiger als die Stromerzeugung aus Erdgas, Kohle und Kernspaltung. Hier ist nicht die Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien das Problem, sondern die Hürde der Anfangsinvestitionen. Der Aufbau eines Wind- oder Solarparks erfordert Kredite, die abzuzahlen sind. Dagegen ist z.B. das AKW am Ebro oder das Gaskraftwerk bei Algeciras amortisiert und kann dementsprechend kostengünstiger produzieren. Würde man nun die Rückzahlungen für Wind- und Solarkraft durch Einspeisevergütungen abdecken, führt das unter dem Strich zu erhöhten Strompreisen. In einem Land wie Spanien ist das ziemlich ausgeschlossen: Das Land weist nach Irland und Zypern die dritthöchsten Strompreise der EU aus, hat eine Arbeitslosigkeit von 25%, wobei etwa für die Hälfte kein Arbeitslosengeld mehr gezahlt wird und auch infolgedessen im letzten Jahr anderthalb Millionen Haushalten wegen Zahlungsunfähigkeit der Strom abgeschaltet wurde.
Also was tun? Einen konstruktiven Vorschlag verdanken wir Jean-Claude Junker. Wahrscheinlich war er sich über die Tragweite der Initiative nicht im klaren, mit welcher er um die Stimmen von Sozialdemokraten und Grünen im Europaparlament warb: Ein dreijähriges Investitionsprogramm von 300 Mrd. €, mit dem unter anderen neuer Schwung in den Sektor der Erneuerbaren Energien gebracht werden solle. Nun weiß jeder Eingeweihte, dass die verfügbaren Gelder der EU in groben Zügen längst festgelegt und in den einzelnen Regionen der EU im Prinzip auch bereits verplant sind. Juncker war sich als ausgebuffter Europapolitiker darüber zweifellos im klaren, vielleicht auch deshalb schlug er als zentralen Geldgeber die Europäische Investitionsbank (EIB) vor. Genau diese Idee können wir für eine solaren Energiewende im Mittelmeerraum aufgreifen:
Wenn die Zahlung von Zinsen und Tilgung die entscheidende finanzielle Hürde ist, um erneuerbare Energie“erzeugung“ schnell voranzubringen, kann die EIB, gemeinsam mit der EZB und ggf. anderen Banken mit einem „green solar deal“ sie überspringen helfen. Der Solarbewegung muss kein Cent geschenkt werden, der solare deal besteht vielmehr darin, dass die Rückzahlung der Kredite zeitlich gestreckt und verlagert wird. Das ist rein finanzwirtschaftlich vertretbar, weil die großen Gewinnchancen nach der Amortisierung liegen: Sonne und Wind schicken keine Rechnungen, wie es so schön heißt, während schon in wenigen Jahren die Kosten für fossile und nukleare Brennstoffe drastisch gestiegen sind. Oder glaubt jemand im Ernst, dass Ukrainekrise und Kriege im Mittleren Osten nicht voll auf die Preise durchschlagen – vom ohnehin zu erwartenden Schwund der fossilen Reserven ganz abgesehen?
Mit Niedrigzins und zeitlich gestreckter Rückzahlung werden Wind- und Solarparks von Beginn an unschlagbar preisgünstig, wobei das Zukunftsrisiko für die Banken durch vertraglich gesicherte Garantien verringert werden kann. Da die so einleitbare mediterrane Solarwende jährlich zweistellige Milliardenbeträge im hochstelligen Bereih verlangt, ist die EIB als alleiniger Geldgeber vielleicht überfordert. Hier könnte die EZB mal einen zukunftsweisenden Part übernehmen, sofern sie ihre gebotene politische Unabhängigkeit nicht mit Realitätsverweigerung verwechselt. Gegenwärtig leiht sie Geld zu Minimalzinsen (0,25-0,5%) an Banken, die das Geld weit höherprozentig weiterreichen, für Projekte, die in der Regel für eine zukunftstaugliche Entwicklung Europas nichts beitragen. Warum also nicht an die EIB weiterreichen, aber dieses Mal für niedrig verzinsbare Kredite, die an Projekte mit dem unschätzbaren Vorzug gehen, einen Wandel in Richtung Klimaschutz entscheidend voranzubringen?
Natürlich wissen wir, dass die Logik der Kreditvergabe durch Banken der Ziel maximaler Gewinne folgt. Aber ebenso natürlich ist das kein ehernes Gesetz, schon gar nicht für Banken, die sich in der öffentlichen Hand befinden. Die EU hat sehenden Auges zugelassen, dass Banken durch ihre Spekulationsgeschäfte selbstverschuldet an den Rand von Zahlungsunfähigkeit und Konkurs gerieten. Und sie hat den europäischen Bürgerinnen und Bürgern zugemutet, mit 2-3stelligen Milliardenzuschüssen für diese verlorengegangenen Lotteriespiele aufzukommen. Da wäre es doch ein überfälliges Ausgleichshandeln, wenn zumindest EZB und EIB Finanzen für Projekte bereitstellen, bei denen Banken zwar (fast) nichts gewinnen, doch aller Voraussicht nach auch nichts verlieren können.
In gut einem Jahr wird Europa mit Paris der Schauplatz einer entscheidenden Klimakonferenz sein. Wenn dieser Klimagipfel nicht von vornherein zu Scheitern verurteilt sein soll, muss die EU überzeugende Eigenaktivitäten vorlegen: Die Vorausfinanzierung einer schnellen Solarwende wäre da ein zentraler Baustein.
Bleibt die wahrlich nicht leichte Aufgabe, in Südeuropa davon zu überzeugen, dass die Zukunft nicht im Schatten der fossilen Energieträger liegt, sondern im Licht ihrer natürlichen Reichtümer an Sonne und Wind. Von den jetzigen Regierungen in Spanien und Griechenland ist da nichts zu erwarten. Aber in beiden Ländern stehen Anfang 2016 Neuwahlen an, da kann und sollte das Anliegen einer sozialverträglichen Energiewende ein Kernpunkt der Opposition sein. In Griechenland hat Syriza die besten Chancen einer Regierungsübernahme und könnte auch im Energiesektor einen Wandel herbeiführen. In Spanien ist die Podemos-Bewegung ein neuer Hoffnungsträger. Trotz übler Diffamierungskampagnen der politischen und medialen Kaste wird sie angesichts der gesellschaftlichen Misere gerade unter jungen Menschen immer beliebter. Von den etablierten Partei ist die Vereinigte Linke einer Energiewende aufgeschlossen, und die Sozialdemokraten haben in den Anfängen der Regierung Zapatero die erneuerbaren Energie sehr gefördert. Und Italien? Hic Rhodos, hic salta: Wer wie Matteo Renzi ständig “Wachstum, Wachstum“ predigt, könnte es ja mal dort versuchen, wo es dem Klima nützt und wo Italien Ressourcen die Menge zu bieten hat.
Hartwig Berger,
Soziologie. Derzeit tätig in einem Energiewende-Projekt in Südspanien

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