Jugendarbeitslosigkeit und Energiewende

von Hartwig Berger

Das Treffen der EU-Regierungschefs zu Mailand war ein Gipfel der Rat- und Hilflosigkeit. Die 2013 bewilligten Sondermittel von 6 Mrd. € sind bisher zu gerade 1% abgerufen, nationale Programme gegen die Jugendarbeitslosigkeit vielfach noch nicht eingebracht und für nur drei Staaten bewilligt. Nicht einmal im Ansatz ist erkennbar, wie die EU die beschlossene Jugendgarantie – dass jede/r junge Europäer/in binnen vier Monaten in Arbeit oder Ausbildung steht – verwirklicht.

In Mailand wurde kontrovers über wirtschafts- und arbeitspolitische Konzepte diskutiert, die eines gemein haben: Sie wirken im großen Umfang bestenfalls dann, wenn die heute jungen Mensch alt sind und nicht mehr in Frage kommen. Führen etwa Griechenland und Spanien das von Frau Merkel angepriesene duale System ein, schafft das zunächst keinen einzigen neuen Arbeitsplatz. Und wenn das in noch fernen Jahren passiert, hilft es vielleicht den Kindern der heute arbeitslosen europäischen Jugend. Sofern sie sich angesichts ihrer eigenen Perspektivlosigkeit getraut haben, Kinder in diese Welt zu setzen.

Will Europa nicht eine ganze Generation abschreiben, muss JETZT gehandelt werden. Eine Beschäftigungspolitik mit kurzfristiger und durchschlagender Wirkung ist gefragt. Angebote, die zukunftsfähige Aufgaben und Tätigkeiten offerieren. Und zwar so, dass sie vorrangig jungen Menschen Wirkungsmöglichkeiten anbieten, mit vorgeschalteter Zusatzausbildung, sofern erforderlich. Berufsfelder mit enormen Beschäftigungseffekten eröffnen sich zum Beispiel dann, wenn die Europäische Union eine konsequente Klimaschutz- und Energiewende-Politik von ihren Mitgliedsländern einfordert. Angesichts der divergierenden und zumeist kurzsichtigen Interessen der Einzelstaaten und der Lobbies der Energiekonzerne ist das keine leichte Sache – aber es wird ja nicht einmal ernsthaft versucht. Dabei böte sich im Vorfeld der kommenden Klimakonferenz in Paris die einmalige Chance, eine durchschlagende europäische Energiewende mit einer überzeugenden Strategie gegen den Skandal der Jugendarbeitslosigkeit zu verbinden, nämlich etwa so:

Alle europäischen Länder, vor allem die mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, haben einen enormen Rückstand an sparsamer und effizienter Energienutzung. Warum dann nicht eine europaweite, mit Sondermitteln finanzierte Kampagne ausrufen, mit der in allen Regionen und Ortschaften der Union junge Menschen zu Energieexperten ausgebildet werden, die flächendeckend in allen Häusern, Betrieben und öffentlichen Einrichtungen für eine Senkung des Energieverbrauchs sorgen? Das hätte neben unzweifelhaften Beschäftigungsimpulsen die erfreuliche Nebenfolge, dass sie armen Haushalten hilft, ihre Strom- und Gasrechnungen überhaupt noch bezahlen zu können. Nicht von ungefähr wurde allein in Spanien im vergangenen Jahr 1 ½ Mio Haushalten zumindest zeitweise der Strom abgeschaltet, weil sie ihn schlicht nicht mehr zahlen konnten.

Die Kosten für eine die arbeitslose Jugend involvierende Energiesparkampagne würden sich im wesentlichen auf die Ausbildungszeit beschränken, die sich oft dadurch verkürzt, dass die Mehrheit der jungen Europäerinnen bereits Vorqualifikationen aufweisen. Die Arbeit der geschulten EnergieexpertInnen selbst kann dann zum größten Teil durch die erzielten Einsparungen an Energie finanziert werden. Und die EU hätte zudem den Vorteil, einer Umsetzung ihres Energieeinsparziel von 20% bis 2020 und (leider nur) 30% bis 2030 näher zu kommen.

Noch mehr können die europäischen Länder bewirken, wenn sie die Kampagne mit einem umfassenden Investitionsprogramm insbesondere der Gebäudesanierungen verbinden. Dazu braucht es Fachkräfte im Bau- und Ingenieurswesen, die unter den jungen EuropäerInnen bereits in großer Zahl zu finden sind oder die entsprechend ausgebildet werden können. Der zusätzliche Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften wird etwa für Spanien auf rund 200.000 Personen geschätzt, sofern das Land sich endlich ernsthaft vornimmt, das 20%-Ziel an Einsparung bis 2020 zu erreichen. Da Spanien an effizienter Energienutzung einen besonders großen Nachholbedarf hat, werden wir für die EU nicht einfach hochrechnen können. Doch selbst im iberischen Rekordland der Jugendarbeitslosigkeit könnte man so 20% der jungen Leute ohne Job eine berufliche Zukunft bieten.

Wie soll ein europäisches Sanierungs- und Beschäftigungsprogramm bezahlt werden? Dazu reicht zum Beispiel der Wille zu einer kurzfristig realisierbaren Reform des EU-Emissionshandels, die für eine wirksame Klimaschutzpolitik ohnehin mehr als überfällig ist. Der CO2-Zertifikatehandel dümpelt gegenwärtig mit Niedrigstpreisen dahin und kann als nahezu gescheitert gelten. Eine europaweite Einführung von Mindestpreisen und vor allem eine Erhöhung der Reduktionsverpflichtungen für Kohlendioxid macht den Emissionshandel erstens zu einem wirksamen klimapolitischen Instrument und erwirtschaftet zweitens enorme Finanzbeträge, die in relevanten Teilen für ein europaweites energetische Sanierungsprogramm genutzt werden können. Unter dem Arbeitseinsatz junger EU-BürgerInnen, die so zugleich etwas zur Sicherung ihrer zukünftigen Lebensqualität tun.
Schließlich kann die EU eine kontinentale Energiewende mit einer Beschäftigungskampagne verbinden, die zusätzlich mehreren Hunderttausend jungen Menschen gerade in den südeuropäischen „Hochburgen“ der Arbeitslosigkeit zugute kommt. Denn in diesen Landstrichen ist die solare Stromerzeugung, und in z.B. küstennahen Gebieten die Windkraft, inzwischen deutlich kostengünstiger als mit fossilen Brennstoffen befeuerte Kraftwerke, von der hoch zu subventionierenden Atomkraft ganz zu schweigen. Die rechnungstechnisch einzige Hemmschwelle sind die Investitionskosten für Neuanlagen. Solange die Betreiber Zins und Tilgung noch in hohen Raten abzahlen müssen, sind sie mit abgeschriebenen Altanlagen der fossilen Dinosaurier nicht konkurrenzfähig, allerdings nach deren Abzahlung unschlagbar günstig. Sonne und Wind verlangen, anders als die Lieferanten von Kohle, Gas und Uran, keine Rechnung.
Um also schnell und wirksam in den Südländern den Weg zur 100%-erneuerbarer Stromerzeugung einzuschlagen, müssen sich die EU und die betroffenen Mitgliedsländer entscheiden: Entweder bedienen sie weiterhin und gegen jede ökologische Vernunft die kurzsichtigen Profitinteressen der fossilen und nuklearen Energiekonzerne. Oder sie entschließen sich zu einem „green solar deal“, der für die südeuropäischen Länder vergleichsweise einfach zu realisieren wäre. Um dort einen durchschlagenden Boom erneuerbarer Stromerzeugung einzuleiten, reicht es in aller Regel, dass die notwendigen Kredite für Solar- und Windanlagen im Zins gesenkt und in der Tilgung gestreckt werden. Akteur für eine zinsgünstige Kreditvergabe könnte zum einen die Europäische Investitionsbank, zum anderen die EZB sein. Wenn die EZB Banken Kreditzinsen von (Stand September 2014) 0,05% gewährt, warum dann nicht einer für den Klimaschutz wesentlichen Zukunftswandel von z.B. 2%?

Das wäre auch wirtschaftspolitisch vorausschauend, weil sich die Kosten der Stromerzeugung immer weiter zugunsten von Sonne und Wind entwickeln. Kein Experte, der ernstgenommen werden will, bezweifelt, dass die Kosten für fossile und nukleare Brennstoffe in den kommenden Jahren drastisch steigen werden. Man muss nicht einmal auf die dramatische Gewalteskalation im Mittleren Osten oder den andauernden Konflikt um die Ukraine verweisen, es reicht, an die natürlichen Grenzen der fossilen Ressourcen und des Urans zu erinnern. Entscheiden sich Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten jetzt für eine Energiewende im oben skizzierten Sinn, können sie nicht nur der zur Zeit arbeitslos abgeschriebenen Jugend eine berufliche Zukunft bieten, sondern zugleich für sie die zukünftigen Risiken von Gewalt und Krieg um schwindende Ressourcen verringern.
Hartwig Berger, Sozialwissenschaftler und gegenwärtig aktiv in einem Projekt „mehr Arbeit mit weniger Energie“ mit arbeitslosen Jugendlichen in Südspanien

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