von Hartwig Berger
Die folgende Kurzanalyse ist ein Diskussionspapier. Kritische Rückmeldungen, Vorschläge oder Gegenvorschläge sind sehr willkommen!
Die Diskussion um Kraftwerke- und Fernwärme-Planungen in Berlin leidet darunter, dass es bisher noch kein Energiekonzept für unsere Stadt gibt, das klarstellt:
- Welcher Strom- und Wärmebedarf ist für das Jahr 2020 und darüber hinaus zu erwarten?
- Wie kann dieser Strom- und Wärmebedarf so weit reduziert, oder ohne zusätzliche Treibhausgasgenerierung erzeugt werden, dass dieses aus klimapolitischer Sicht zu verantworten ist?
Solange der Senat dieses Konzept nicht vorgelegt und das Abgeordnetenhaus nach umfangreicher Bürgerbeteiligung beschlossen hat, vollziehen sich alle Planungen gewissermaßen im Blindflug. Energieerzeugungsanlagen werden dann nicht nach dem zukünftig verantwortbaren Bedarf sondern aus betriebswirtschaftlichem Kalkül der interessierten Betreiber geplant.
1. Wärmebedarf und Biomassenutzung in drei Bezirken
Nun hat ein Expertenteam im Jahr 2009 den Wärmebedarf und mögliche Wege seiner Deckung für die gut 200.000 Haushalte in Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf zu ermitteln gesucht , um Alternativen zum damals noch verfolgten Vorhaben eines Steinkohle-Kraftwerks in Klingenberg aufzuzeigen. Die Studie entstand im Auftrag des BUND-Berlin, der Klima-Allianz, der IG Saubere Biomasse und anfänglich auch von Berlin 21. Um Sinn oder Unsinn der Kraftwerkspläne, speziell eines Biomasse-HKW , und der dazu verfolgten Holzimport-Strategie Vattenfalls abschätzen zu können, ist es hilfreich, an die Ergebnisse dieser Studie „Wärme ohne Kohle“ anzuknüpfen:
Die Wärmestudie entwickelt ein Szenario für das Jahr 2018. Damit deckt sie sich zeitlich mit der Absicht Vattenfalls, das umstrittene Biomasse-HKW am Standort Klingenberg ab 2019 in Betrieb zu nehmen. Die Autoren nehmen – hier deutlich zu anspruchslos – an, dass bis dahin durch weitere Energiesparmaßnahmen der Wärmebedarf im betrachteten Gebiet um (lediglich) 9,5% zurückgegangen ist. Diese Annahmen sollten in einer Kontrollstudie weiter nach unten korrigiert werden, die zeigt, ob und wie es möglich ist, die realisierbare Bedarfsprognose weiter zu senken.
Der Vorgabe der Wärmestudie folgend, wird der durchschnittliche Jahres-Wärmebedarf für das Jahr 2018 mit 4.036 GWh ( Gigawattstunden) errechnet. In der ebenfalls konservativen Annahme, dass in dieser Zeit die Struktur der Fernwärmeversorgung nicht ausgebaut und durch Vernetzung weiterer dezentraler BHKWs wirksamer gestaltet wird, verteilen sich Fern- und Hauswärmeversorgung im Verhältnis 1,9 : 2,1 ( 1.923 GWH : 2.133 GWh). Um den hier einzig interessierenden Fernwärmebedarf zu decken, werden, neben einer noch geringen anteiligen Nutzung von Solarthermie, folgende Energieanlagen vorgeschlagen:
- Ein Biomasse-Heizkraftwerk, welches pro Jahr 750 GWh an Wärme (incl. Warmwasserbedarf auch im Sommer) produziert und dazu knapp 175.000 t Holz benötigt .
- 24 neu zu errichtende BHKWs von je 5 MW, also einer Gesamtleistung von 120 MW. Es wird vorgeschlagen, diese Anlagen ganz oder zum großen Teil mit regional erzeugtem Biogas zu betreiben.
- Das bestehende gasbetriebene Heizkraftwerk Mitte wird im Wärmesektor überwiegend zur Abdeckung von Spitzenlast eingesetzt.
Wie steht es um den Bedarf an Energieträgern im skizzierten Wärmeszenario 2018? Der Spitzenlast-Anteil des Heizkraftwerks Mitte deckt nur wenig mehr als 10% des gesamten Wärmebedarfs ab, ist also mit Sicherheit deutlich geringer als im jetzigen Zustand, in dem neben „Mitte“ auch die gasbetriebenen Heizkessel des Kraftwerks Klingenberg eingesetzt werden. Der zur Fernwärme benötigte Erdgas-Anteil nimmt also ab, möglicherweise auch dann, wenn für die neu errichteten BHKWs ganz oder in relevanten Anteilen Erdgas eingesetzt wird.
Wäre regional und umweltverträglich gewonnenes Biogas für die vorgeschlagenen BHKWs in ausreichender Menge verfügbar? Laut der Wärmestudie können 24 BHKWs à 5 MW im Jahr 2018 500 GWh an Heizwärme bereitstellen. Das Potential Berlins aus Biomüll und sonstigen organischen Reststoffen wird auf 900 GWh veranschlagt, von denen maximal 50% auf jeden Fall erschließbar seien. Die vom Senat beauftragte Biomasse-Studie für Berlin, die ich hier ergänzend nenne, ergab, dass pro Jahr rund 400.000 t an energetisch nutzbaren organischen Abfällen in Berlin anfallen.
Das Potential für Biogas in Brandenburg kann, wenn wir es auf Gülle aus der Tierhaltung und einen 5%igen Anteil von Energiepflanzen in der Ackerfläche beschränken mit mehr als 5.000 GWh veranschlagt werden .
2. Vergleich zu den Holzfeuerungsplänen Vattenfalls
Das in der Wärmestudie vorgesehene Biomasse-HKW müsste durch Holzfeuerung eine Wärmeleistung von 750 GWh im Jahr erzielen. Die Anlage wäre im Vergleich zu den Vattenfall-Plänen weitaus kleiner ausgelegt. Das genannte Unternehmen selbst plant derzeit am Standort Klingenberg zwei Biomasse-Kraftwerke von jeweils 20 MW elektrischer und 75 MW thermischer Leistung. Zu ihrem Betrieb werden nach Angaben Vattenfalls 700.000 Jahrestonnen an Holz benötigt . Dieser Bedarf könnte keinesfalls regional abgedeckt werden, daher die Absicht Vattenfalls, vorerst für 5 Jahre Holz aus Liberia zu importieren. Dieser Plan ist, wie an anderer Stelle dargelegt , weder aus klimapolitischer noch aus sozialpolitischer Sicht akzeptabel und kann daher auch nicht durch Erarbeitung noch so sorgfältiger – im übrigen kaum zuverlässig kontrollierbarer – Nachhaltigkeitskriterien „geheilt“ werden. „Holz für warme Stuben“ in Berlin hätte in Liberia für den Bedarf der Bevölkerung mehr Holzeinschlag aus den Regenwäldern und, wegen steigender Holzkohlepreise, „kalte Küchen für die arme Bevölkerung“ zur Folge. Vattenfall nennt als weitere Zukunftsoptionen etwa Russland und Kanada. Damit würde die Axt an die besonders empfindlichen, langsam wachsenden Wäldern gelegt. In Kanada findet seit Jahren großräumige Waldvernichtung zur Gewinnung von Ölsanden und Ölschiefern statt. Russland betreibt einen rücksichtslosen Ausverkauf von Holz und hat den ohnehin unzureichenden Waldschutz früherer Jahre fast vollständig abgebaut.
Nun der Vergleich: Mit dem deklarierten Holzbedarf würde Vattenfall 3.000 GWh an Wärme erzeugen, also das Vierfache des Bedarfs im untersuchten Gebiet, wenn wir zugleich einen sinnvollen Zubau von BHKWs unterstellen und daran erinnern, dass der Bedarf an Spitzenlast nicht durch eine Biomasse-Anlage abgedeckt werden sollte. Beim Wort genommen, ist „Holz aus Afrika für warme Stuben in Berlin“ eine Untertreibung. Das Vattenfall-Konzept eines überdimensionierten Holz-Heizkraftwerks würde, sofern realisiert, für überheizte Stuben und für Wärmeverschwendung sorgen. Berlin braucht dieses ohnehin umstrittene Biomasse-Kraftwerk in dieser Auslegung nicht.
Der „Holzweg“ Vattenfalls ist aus klimapolitischer Sicht auch dann eher kontraproduktiv, wenn wir uns seine Wirkungen auf die CO2-Bilanz Berlins anschauen´: Vattenfall hat zugleich vor, spätestens ab 2014 pro Jahr 530.000 t Holz in den Kraftwerken Reuter-West und Moabit, sowie bis zu ihrer Schließung in Moabit und Reuter-alt zuzufeuern . Auch das soll durch Importe zunächst aus Liberia abgedeckt werden. Hintergrund dieser Planung ist die weitere Entwicklung im EU-Emissionshandel, der ab 2013 alle beteiligten Großemittenten verpflichtet, in schrittweise bis auf 100% zunehmenden Anteilen ihre C02-Zertifikate zu ersteigern. Die Ära der geschenkten C02-Zertifikate ist damit definitiv vorbei, der Einsatz der immer emissions-intensiven Kohlekraftwerke wird immer teurer. Mit Holz zuzufeuern, welches im Emissionshandel – ob zu Recht oder zu Unrecht – mit weit geringeren C02-Quoten veranschlagt wird, ist in erster Linie ein betriebswirtschaftliches Kalkül.
Jedoch: Nicht allein aufgrund ökologisch wie sozial nachteiliger Folgen in den Herkunftsregionen ist die Holzzufeuerung falsch und verantwortungslos. Sie verschlechtert im Ergebnis auch die C02-Bilanz Berlins. Wenn Vattenfall Kohle- durch Holzfeuerung ergänzt, heißt das in der Konsequenz: Für die Stromerzeugung innerhalb Berlins werden die Kohlekraftwerke relativ stärker – und die Gas-Kraftwerke relativ geringer genutzt. Für den Klimaschutz ist das auf jeden Fall ungünstig: Zwar ist Erdgas ebenfalls klimaschädlich und daher wie Kohle als Auslauf-Energie zu werten, produziert aber pro benutzter Menge nur 60% an C02, im Vergleich zu Steinkohle und 50% im Vergleich zu Braunkohle. Zusätzlich ist damit zu rechnen, dass Vattenfall in den Monaten mit geringem Wärmebedarf stärker Reuter-West und Moabit und weniger die effizienteren Gaskraftwerke zur Stromerzeugung nutzt. Somit wird mehr Primärenergie ungenutzt als Abluft oder im Kühlwasser aus der Spree verpulvert – und es wird, ebenso unnötig, zusätzliches C02 generiert. Das GuD-Kraftwerk Mitte nutzt die eingesetzte Energie in der Stromerzeugung zu 90%, ein Kraftwerk wie Reuter-West hingegen nur zu rund 50%. Der „Holzweg“ reduziert in der immanenten Klimabilanz Berlins also keineswegs die Menge des erzeugten Kohlendioxid, vielmehr bewirkt er eine relative Verschlechterung der CO2-Bilanz.
3. Zu regionalen Potentialen für großtechnische Biomassefeuerung
Bleibt die Frage, ob ein deutlich kleiner ausgelegtes Biomasse-Kraftwerk, wie es die Wärmestudie errechnet, in Berlin sinnvoll ist. Zunächst ein positiver Hinweis: Der Biomassebedarf würde sich im Vergleich zum Vattenfall-Konzept auf 175.000 t reduzieren, also auf 14% des durch Vattenfall deklarierten Bedarfs von 1,3 Mio Jahrestonnen Holz. Diese Menge an Biomasse könnte wahrscheinlich aus regionalen Potentialen abgedeckt werden.
Es fragt sich aber, ob hier Holz der erstrangig oder ausschließlich zu nutzende Energieträger ist. Zum ersten bedarf es dringend einer offenen Diskussion in Berlin, wie das Potential von 400.000 t Biomasse in der Stadt endlich erfasst und energetisch genutzt werden kann. Die Klimabilanz einer Zufeuerung organischer Abfälle in Kohlekraftwerken ist nach meinen Informationen deutlich besser als die von Biogas, wenn die noch relativ hohen Emissionsverluste von Methan im Erzeugungsprozess in Rechnung gestellt werden.
Zum zweiten ist auch bei der – einzig vertretbaren – energetischen Nutzung regionaler Holzressourcen deutlich mehr Augenmaß angebracht, als die gegenwärtige Debatte erkennen lässt. Restholz aus Brandenburger und Berliner Wäldern ist bereits jetzt übernutzt; ihre weitere Inanspruchnahme würde den Erhalt der Vitalität des Ökosystems Wald – übrigens auch als Kohlenstoffspeicher – noch mehr gefährden. Holzplantagen können auf devastierten Flächen im Braunkohlebergbau sowie auf bisher monokulturell genutzten Ackerflächen mit geringen Erträgen sinnvoll und sogar ökologisch vorteilhaft sein. Aus umwelt- wie teils auch klimapolitischer Sicht wäre das jedoch auf Brachflächen mit Wildbewuchs und wahrscheinlich auf den gleichfalls genannten Rieselfeldern eine falsche Option. Altholz ohne weitere stoffliche Nutzung, Restschnitte aus Baumpflege und der Holzschnitt seitlich von Schienenstrecken oder aus Naturschutzgebieten sind hingegen bisher viel zu wenig genutzte Potentiale.
Insgesamt aber gilt: Verfügbares Energieholz im Umfang, der Vattenfall für Berlin vorschwebt, sind angesichts der regionalen Potentiale ein Traum – und ein Albtraum, wenn wir die internationalen Auswirkungen bedenken.
Berlin, 15.12. 2010