Klimaethik – überzeugend, aber wirkungslos?

von Hartwig Berger

1. Warum Klimaethik?

Der Klimawandel fällt nicht vom Himmel. Als menschengemachter ist er auch eine moralische Herausforderung. Wer hat ihn verursacht, wer hat unverschuldet darunter zu leiden? Ist die Verantwortung individuell zurechenbar oder muss sie, und wenn ja wie, Kollektiven zugeschrieben werden? Setzt sie voraus, dass mögliche globale Folgen den handelnden Personen bzw. Kollektiven bewusst sind oder bewusst sein können? Kann, und wenn: wie , begründete von moralisch verwerflicher Bestreitung von Klimawandel unterschieden werden? Und vor allem: Wie wird Verantwortung praktisch wirksam? Welche Art von Abhilfe – von welchem Umfang und in welchem Tempo – ist ethisch begründbar? Und ebenso: Welche Aktivitäten sind legitimerweise zu erwarten, um erlittene Schäden und durchlebtes Leid aufgrund klimatisch bedingter Katestrophen zu entschädigen, zu minimieren oder, sofern möglich, vorbeugend zu vermeiden? Beziehen sich Verantwortung und Verpflichtungen nur auf die Welt der Menschen oder müssen wir andere Lebewesen und in welcher Form einschließen? Konkreter: Ist das Verschwinden von 20-30% aller Tier- und Pflanzenarten, welche die Klimaforschung bis zum Jahr 2050 prognostiziert, nicht nur eine ungeheure Naturkatastrophe, sondern auch als globales Verbrechen zu werten?

Die ethische Relevanz von Klimawandel ist inhaltlich leicht darstellbar: Nur ein Teil der Menschen und Gesellschaften verursach(t)en ihn in einem historisch kurzen und noch andauernden Zeitabschnitt. Eine Minderheit vernichtet(e) in ungeheurem Umfang fossile Energieträger, betreibt eine energieaufwendige und das Klima verändernde Landwirtschaft, stört das atmosphärische Gleichgewicht durch großräumige Trockenlegung kohlenstoffreicher Moore und Feuchtgebiete. Aufgrund dessen konnte in einigen Gesellschaften der durchschnittliche, allerdings ungleich verteilte Wohlstand an materiellen Gütern und ausgedehnter Mobilität stark gesteigert werden.

Dagegen war und ist die Mehrheit der Menschen in anderen Regionen von dieser Entwicklung weitgehend ausgeschlossen. Sie haben den Klimawandel nicht zu verantworten, sind aber die hauptsächlich Leidtragenden. Steigende Meeresspiegel, zunehmende Dürren und extreme Wetterereignisse gefährden vor allem ihren Lebensraum. Die überwiegend verursachenden Gesellschaften sind hingegen von den Kalamitäten zumeist weniger getroffen. Sie verfügen zudem über eingespielte und funktionsfähige Institutionen und die nötigen Ressourcen, um mit den Folgen klimatischer Veränderung zurecht zu kommen. Die vor allem heimgesuchten – und nicht verantwortlichen – Region sind die zugleich “verwundbarsten”. Die Niederlande können versuchen, ihr Land mit höher gebauten Dämmen zu schützen, das weit stärker getroffene Bangla Desh kann das nicht. Staaten im zentralen Afrika können mit schwachen, von Gewalt und Korruption geprägten Institutionen die Herausforderung nicht meistern, die mit klimabedingtem Elend, Vertreibung und Massenflucht unweigerlich auf sie zukommt. Auflösung und Zerfall der staatlichen Strukturen sind angesichts der sich kumulierenden Probleme zu erwarten.

Die hohe Verwundbarkeit (vieler) der von Klimawandel voraussichtlich stark getroffenen Gesellschaften hat Folgen. Bereits gegenwärtig, so schätzen UNO-Einrichtungen, mussten viele Millionen ihre bisherige Heimat verlassen, weil sie dort aufgrund veränderter klimatischer Umstände oder infolge wetterbedingter Katastrophen nicht mehr leben können. Und die Zahl der Betroffenen wird steigen, wenngleich zuverlässige Schätzungen schwierig sind. Im Referenz-Szenario des Reports von Niklas Stern wird mit 200 Mio. Klimaflüchtlingen im Jahr 2050 gerechnet, der Zukunftsforscher Norman Myers nimmt an, dass selbst dann mehr Menschen klimabedingt abwandern müssen, wenn zügig eine wirkungsvolle Weltklimapolitik vereinbart wird. Nicht “nur” mit Flucht aufgrund von Überflutungen, andauernden Dürren und sonstigen durch Klimawandel verstärkten Naturkatastrophen ist zu rechnen. Zu erwarten – und schwer kalkulierbar – sind gewaltförmig eskalierende Sozialkonflikte und Verteilungskämpfe aufgrund wachsender Notlagen. Werden die ohnehin endemischen Ressourcenkonflikte zwischen bäuerlichen und (teil-)nomadischen Gesellschaften zunehmen und in Gewaltexzessen und Kriegen explodieren? In mehreren Regionen Afrikas ist das in den letzten Jahren geschehen. Können immer mehr „Klimamigranten“ in den ohnehin überbordenden Städten des globalen Südens noch einen Ort zum Überleben finden? Wie wird die ansässige Stadtbevölkerung auf noch mehr Obdachlosigkeit, Armut und eine Vergrößerung des Arbeitslosenheers reagieren?

Damit stellt sich die Frage nach der Aufnahmebereitschaft wirtschaftlich lebensfähiger, für den Klimawandel verantwortlicher und von dessen Folgen wenig betroffener Gesellschafen. Europa und Russland, Nordamerika, Japan, Australien oder Neuseeland sind da besonders gefragt. Und hier ist klimaethisches Nachdenken mit der Tatsache konfrontiert, dass diese Bereitschaft bisher nicht einmal im Ansatz erkennbar ist. Die EU verstärkt Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge und Migranten aus Afrika und dem Mittleren Osten. Grenzmauern werden errichtet wie in Griechenland, Ceuta und Melilla, Flüchtlinge völkerrechtswidrig auf dem Meer abgefangen, bis zum Februar wurde sie in die KZ-ähnlichen Lager von Ghaddafi- Libyen abgeschoben, mit der Illegalisierung wird das Risiko von Schiffsuntergängen mit zahllosen Ertrunkenen erhöht.

Die ethisch sich aufdrängende Erörterung von Verpflichtungen zur Aufnahme von Klimaflüchtlingen ist um Lichtjahre von der Realität der Flüchtlingsabwehr (nicht nur) in Europa entfernt. Eine Debatte darüber, wie denn mit Ansprüchen und Erwartungen von Klimaflüchtligen umzugehen sei, gibt es in potentiellen Aufnahmeländern des globalen Norden bisher nur in engsten Zirkeln. Bisher setzt sich keine der großen menschenrechtlichen Organisationen für eine völkerrechtlich verbindliche Regelung zur Aufnahme von Klimaflüchtlingen außerhalb der Grenzen des je betroffenen Landes ein. Selbst der für Flüchtlingsrechte unstrittig engagierte UNHCR weicht aus. Er wurde bisher von flüchtlingspolitischen NGOs des globalen Nordens auch nicht dazu gedrängt, Position zu beziehen. Grund ist vermutlich die Befürchtung, mit neuen Problemlagen die Rechtsansprüche für politisch und ethnisch Verfolgte noch schwieriger durchsetzbar zu machen.

Zu den eingangs formulierten ethischen Fragen überzeugende und konsensfähige Antworten zu finden, ist nicht leicht. Abgesehen davon, dass die Herausforderung eines sich vollziehenden und offenkundig beschleunigenden Klimawandels es zwingend macht schnell zu handeln, statt lange über moralische Grundlagen nachzudenken und zu verhandeln. Andererseits werden sich gesellschaftliche und zwischenstaatliche Einigungen zur Eindämmung des und zum Umgang mit Klimawandel immer an dem orientieren müssen, was als gerecht und als moralisch vertretbar gilt bzw. als gerecht erklärt wird. Die Diskussion zur Klimaethik ist kein Luxus, denn klimapolitische Entscheidungen bedürfen immer einer Legitimation. Und man wird sich darauf verständigen können, dass gut begründete und konsensfähige Legitimationen die unstrittig bessere Alternative sind.

2. Kluft zwischen Anspruch und Wirksamkeit

Daher ist die zunehmende philosophische Diskussion um Klimagerechtigkeit und Klimaethik eine notwendige und gute Entwicklung. Die UNESCO hat dafür vor einigen Jahren die World Commission on the Ethics of Scientific Knowledge and Technology (COMEST) beauftragt, ein Konzept zu Fragen der Klimaethik zu erarbeiten. COMEST hat dazu im Sommer 2009 eine Sonderkonferenz durchgeführt und noch vor der Kopenhagen-Konferenz ein Arbeitspapier vorgelegt . In der Fachphilosophie, besonders in den USA, England und Deutschland erscheinen zunehmend Beiträge zu Fragen der Klimaethik . ich will mich hier auf ein Problem konzentrieren, welches in den mir zugänglichen Beiträgen zu kurz kommt: Unter welchen Voraussetzungen können Regeln klimaethischen Handelns, die überzeugend scheinen, für das Verhalten von Kollektiven – Primärgruppen, communities, Korporationen und vor allem Staaten – tatsächlich orientierend sein? Man kann sich leicht darüber verständigen, dass Gesellschaften, welche stark zum Treibhauseffekt beitragen, schnell und zügig die durch sie generierten Belastungen reduzieren sollen. Auch darüber, dass sie verpflichtet werden sollen, den Menschen in den betroffenen und nicht verursachenden Regionen bei der Lösung der entstandenen Klimaprobleme zu helfen.

Doch offenkundig geschieht das bisher nicht oder nur sehr unzureichend. Wir müssen uns also darüber Gedanken machen, warum das so ist und wie die eklatante Kluft zwischen normativen Ansprüchen und gesellschaftlicher Wirklichkeit verringert werden könnte. Gerade eine Klimaethik kann nicht darüber hinweggehen, dass moralisch überzeugend erscheinende Handlungsregeln im weit überwiegenden Normalfall eben nicht solche der Handlungswirklichkeit sind. So wäre es Realitätsflucht, wenn wir in klimaethischen Diskursen darüber hinwegsehen, dass die seit Rio 1992 inzwischen jährlich stattfindenden Weltklimakonferenzen bisher keine Vereinbarung erbracht haben, die den Ansprüchen der damals formulierten Klima-Rahmenkonvention auch nur annähernd genügt. Klimaethik kann auch nicht ignorieren, dass Klimawandel vielfach, in den USA sogar mehrheitlich als unwichtiges Problem oder überhaupt in Zweifel gezogen wird und wahrscheinlich eine übergroße Mehrheit der Menschen in den industriellen Kernländern es ablehnt, große Kontingente von Klimaflüchtlingen im eigenen Land zu akzeptieren.

Nehmen wir an, dass der Verbraucherschutz-Anwalt Ralph Nader im November 2000 seine Kandidatur zum Präsidentenamt der USA in den sog. swing states Florida und Ohio zurückgezogen hätte. Mit Al Gore wäre dann eine Person an die Spitze des Landes gerückt, die ohne jeden Zweifel von der Dringlichkeit und Notwendigkeit einer Weltklimapolitik überzeugt ist. Bereits vor seiner Kandidatur war eindeutig zu erkennen, dass Al Gore für Fragen der internationalen Klimagerechtigkeit sensibel und aufgeschlossen ist. Dennoch wäre damals von ihm nicht mehr an Klimapolitik zu erwarten gewesen, als die USA heute unter Barack Obama erkennen lassen, und die ist völlig unzureichend.. Das klima-ethisch Gebotene mag intellektuell einleuchten, es bleibt letztlich zahnloser Appell, wenn es in Bevölkerung und Führungselite (noch?) nicht ankommt.

Klimaethik – wie im übrigen generell Ethik – kann sich nicht mit der Herleitung noch so gut begründbarer Verhaltensnormen zufrieden geben. Sie muss sich auch der Frage ihrer möglichen Handlungswirksamkeit stellen – in diesem Fall: wie klimaethische Normen von einer großen, möglichst überwiegenden Zahl von Akteuren in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat als solche anerkannt werden und für die Handlungspraxis tatsächlich orientierend sind. Für eine Klimaethik stellt sich zusätzlich die Frage, wie moralische Verpflichtungen universell, in der gesamten Menschengesellschaft Geltung erlangen können.

Universalistische Moral

Im folgenden verstehe ich „Ethik“ immer als Reflexion, als Nachdenken über Moral. Wie aber ist “Moral”, hier in Bezug auf Klimawandel zu verstehen? Dazu beziehe ich mich auf Überlegungen von Ernst Tugendhat . Seine Definition von Moral hat den Vorteil, mit einem soziologischen Verständnis von sozialer Ordnung und sozialer Kohäsion vereinbar zu sein. Als “moralisch” gilt demnach ein Handeln immer bezogen auf spezifische Wertsysteme und Erwartungen von communities. Dabei kann es sich um eine Familie, eine lokale Gemeinschaft, ein Netz erweiterter Verwandtschaft, einen Volksstamm oder eine Religion, einen staatliche oder einen transstaatlichen Verband handeln. Moralisch oder unmoralisch ist ein Handeln relativ zu spezifischen Erwartungen einer community, verbunden mit sozialer Pression, solches zu tun oder zu unterlassen. Ein Handeln, welches den kommunitären Erwartungen entspricht, gilt als “gut” und kann mit sozialer Anerkennung und Wertschätzung belohnt werden. Nichtbeachtung gilt als „ungehörig“ oder gar “verwerflich”, und kann mit Geringschätzung und sozialer Ablehnung bestraft werden. Moralische Regeln sind im Sozialhandeln um so wirksamer, je mehr ihre Beachtung habituell, gleichsam zweite Natur geworden ist. Ihnen zu entsprechen, trägt dann zum Selbstwertgefühl der Handelnden bei. Wir reden hier von “Gewissen”.

Im Normalfall wird die Beachtung moralischer Regeln unhinterfragt erwartet. Dennoch lassen sie sich zumeist begründen, und sie werden das des öfteren auch. Zum Beispiel, wenn sich in komplexen Situationen unterschiedliche, möglicherweise auch widerstreitende Handlungsnormen aufdrängen; oder wenn Kinder Verhaltensregeln erst lernen und nachfragen, warum sie dieses oder jenes tun oder unterlassen sollen; oder wenn sich Akteuren aus communities mit unterschiedlicher Moralsystemen über ihr Tun und Lassen verständigen. Das Begründen kennt in der Alltagsmoral allerdings Grenzen. Es führt meistens sehr bald auf Normen zurück, zu denen Zustimmung ohne weiteres Hinterfragen erwartet wird. Ein Beispiel dafür sind Verhaltensregeln in Religionsgemeinschaften, wenn diese als Gebote überirdischer Wesen oder als die Eingebungen der Religionsstifter dargestellt oder auf diese zurückgeführt werden. Die Rechtfertigungen enden in autoritativen Setzungen, oder sie drehen sich im Kreis. Wer die Gebote einer Religion immer weiter zu hinterfragt, stellt allein dadurch deren Unanfechtbarkeit in Frage und setzt sich insofern dem Vorwurf eines unmoralischen Verhaltens aus. Doch auch nicht religiöse „Moralen“ sind in ihren Grundannahmen zunächst autoritativ gesetzt und nicht mehr oder nur zirkulär innerhalb ihrer jeweiligen community hinterfragbar.

Da immer auf spezifische Gemeinschaften bezogen, erfüllt der Normalfall einer autoritativ begründeten Moral nicht die Erwartung auf Allgemeingeltung, den eine Ethik des moralischen Umgangs mit Klimawandel beansprucht. Der community-Bezug scheint zum kulturellen Relativismus jeder Form von Moral zu führen. Im europäische Mittelalter galt Folter als Methode der Deliktaufklärung für zulässig, war also nicht unmoralisch. Analoges gilt für die mindere Rechtsstellung der Frauen, ihre negative Diskriminierung war ausdrücklicher Bestandteil des gesellschaftlichen Wertsystems. Beides wird in der westlichen Moderne als schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte und insofern als eindeutig unmoralisch gewertet.

Fragen wir also, unter welchen Voraussetzungen Moral eine universelle Geltung erlangt, unabhängig von historischen Umständen und nicht zu hinterfragenden Traditionen oder Religionen.

Ersichtlich kann eine Moral mit universellem Geltungsanspruch nicht autoritär begründet sein, also auf Normen zurückführen, die nicht mehr hinterfragt werden können oder dürfen. Wenn Begründungen nicht mehr möglich oder zulässig sind, kann vielleicht – wie in vielen Religionen üblich – verlangt, aber nicht wirklich erwartet werden, dass alle Menschen diese autoritativen Festsetzungen teilen. Der Historismus oder der Kulturrelativismus ist dann unvermeidbar. Sogar das heutige Paradigma einer universalistischen Ethik, die UNO- Charta der Menschenrechte, könnte das nicht beanspruchen. Die eindrucksvolle Eingangserklärung der US-amerikanischen Verfassung – „ we hold these truths as self-evident“ – macht es sich entschieden zu einfach . Ihre moralischen Grundregeln sind auch keineswegs weltweit anerkannt, sie sind nicht in jeder Gesellschaft Bestandteil der geltenden Moral. Gleichwohl kann das Verlangen nach Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit eine enorme Mobilisierungskraft entwickeln, die jüngsten Revolutionen in arabischen Ländern zeigen das. Warum solches der Fall ist, bedarf der Erklärung. Gibt es eine universalistische Moral – und wie begründet sich diese?

Auch eine Klimamoral würde mit ihrem Allgemeinheitsanspruch sofort scheitern, wenn Sätze wie die folgenden, sich keiner Begründung mehr stellen: “Jedem lebenden Menschen ist das gleiche Recht zur Generierung treibhauswirksamer Emissionen zuzugestehen”; oder: “Wir sind verpflichtet, Klimaflüchtlingen zu helfen und neuen Lebensraum zu bieten, wenn wir durch unser stark klimaveränderndes Verhalten für die Verschlechterung ihrer Lebensumstände mitverantwortlich sind”. Warum sind das moralische Pflichten? Inwiefern sind sie als solche verallgemeinerbar, zumal sie in der Regel überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und vielfach auch energisch bestritten werden?

Ernst Tugendhat entwickelt die Idee einer durchweg begründbaren Moral, die er “autonome Moral” nennt, aus anthropologischen Ursituationen, in denen sich Menschen aus verschiedenen Gesellschaften erstmals und neu auf moralische Regeln verständigen müssen. Er nimmt zusätzlich an, dass die Einigung ohne Ausübung von Macht, also unter Bedingungen wechselseitig anerkannter Gleichheit geschieht. Damit nähert er sich, vielleicht ungewollt, der Idee eines Naturzustands, wie ihn die neuzeitliche Sozialphilosophie entwickelt und genutzt hat. Die Annahme einer “Ursituation” der Verständigung erscheint hergeholt, zumal die hier Kommunizierenden gemeinsame Normen im Sprachhandeln teilen müss(t?)en, um sich überhaupt verständigen zu können.

Überzeugender scheint mir sein zweites Gedankenexperiment, eine autonome Moral ohne Rekurs auf unhinterfragte Normen zu begründen: die Klärung von Moral in einer Eltern-Kind Beziehung, in der die Erwachsenen dem oder der Heranwachsenden erläutern, warum bestimmte Handlungsgebote notwendig und sie zu beachten “gut” und daher allgemein zu erwarten sei. Das kann so geschehen, dass die Eltern die in Frage stehende Verhaltensregel auf Normen zurückführen, die sie für unumstößlich erklären – etwa auf Gebote Gottes; oder indem sie sich auf Hinweise zurückziehen wie den, dass doch alle das so machen und man unweigerlich in schwierige und unangenehme Situationen gerate, wenn man sich da anders verhalte. Wir haben es dann mit einer heteronomen Moral zu tun.

Die Eltern können aber einen Schritt weiter gehen und versuchen, dem Kind klarzumachen, dass die in Frage stehende Regel Ansprüche formuliert, die Menschen wechselseitig aneinander stellen, “wenn sie sich einfach nur als miteinander leben wollende Menschen verstehen”. So werden sie Menschen in ihrer Umgebung, die sichtbar Hunger leiden, Nahrung zur Verfügung stellen; denn sie werden im umgekehrten Fall dieselbe Hilfe von jedem Anderen wie auch den zur Zeit Hungernden erwarten. Als moralisch qualifizierbar sind Ansprüche und Regeln immer dann, wenn sie sich plausibel als wechselseitige und gemeinsame darstellen lassen. Eine “autonome” Moral zeichnet sich durch wechselseitige Begründbarkeit aus, wobei “die Rücksicht auf die Interessen aller zur Absicht der Begründung gehört”( T. S.126). Leicht einzusehen ist, dass eine solche Moral nicht durch Macht gesetzt sein kann, sondern eine Gleichheit aller als moralische Personen (nicht faktische Gleichheit) voraussetzt. Alle werden mit ihren wechselseitig zu klärenden Ansprüchen in gleicher Weise ernstgenommen. Damit sind ungleiche Ansprüche und Lebenslagen nicht ausgeschlossen, wohl aber nach demselben Schema begründungspflichtig.

Autonome Klimamoral

Eine Klimamoral muss in diesem Sinn autonom sein, da sie ohne den Anspruch auf universelle Geltung wenig Sinn macht. Kein Lebewesen auf der Erde, erst recht nicht die am Ende von Nahrungsketten befindlichen Menschen können sich Veränderungen des Weltklimas entziehen; die Atmosphäre, um deren anthropogen eingeleitete Veränderung es hier geht, ermöglicht uns zu leben, zu atmen, sie schützt uns alle vor der unermesslichen Kälte und Leere des Weltraums. Moralische Erwartungen bezüglich der Gefahren und Folgen von Klimawandel schließen daher alle Personen, Gesellschaften und Staaten ein, unabhängig davon, ob sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. Da sie jede gesellschaftsspezifische Moral überschreiten, können sie nicht autoritativ auf grundlegende Normen oder Annahmen zurückgeführt werden. Es macht wenig Sinn, wenn christlich, oder mit anderem Hintergrund religiös geprägte Philosophen Verpflichtungen der Klimamoral darauf zurückführen, dass wir “Geschöpfe Gottes” sind und uns daher die Pflichten zur Bewahrung dieser Erde aufgegeben ist. Bei aller Sympathie für die Konsequenz – der in der Prämisse formulierte Glaubenssatz ist nicht streng verallgemeinerbar und nur innerhalb von communities schlüssig, die an ein göttliches Wesen mit schöpferischer Allmacht glauben. Übrigens passt es wenig zu einer schlüssigen Klimamoral, anzunehmen, dass mit den Menschen ausgerechnet der Gattung, die vor allem natürliche Lebenszusammenhänge zerstört und gefährdet, exklusiv der Auftrag des Hüters und Bewahrung der Erde gegeben sei.

Wie könnte eine autonome, daher universalisierbare Begründung klimamoralischer Normen aussehen? Für einige Grundregeln ist das nachvollziehbar, wobei ich mich zunächst auf Staaten als Akteure beschränke. Wenn ein Staat nichts oder erkennbar zu wenig dagegen unternimmt, dass aus seinem Verantwortungsbereich klimamäßig nachteilig Treibhausgase generiert oder mit der gleichen Folge das Klima stabilisierende Biotope wie Wälder, Feuchtgebiete, Grasland degradiert oder vernichtet werden, handelt er “unmoralisch”; und zwar in dem Sinn, dass alle Staaten legitimerweise voneinander verlangen und erwarten können, sich nicht in dieser Weise und damit zum Schaden aller zu verhalten. Normen klimagerechten Verhaltens setzen immer einen wechselseitigen Anspruch voraus und begründen sich durch diesen. Und was für das Handeln von Staaten gilt, kann prinzipiell genauso für klimagerechtes Handeln von Personen und substaatlichen Verbänden (wie Wirtschaftsunternehmen) gesagt werden. Auch hier ist eine universell zu verstehende Wechselseitigkeit der Akteure der Geltungsgrund. Im Grunde (ww) hat das starke Ähnlichkeit mit dem Konzept des kategorischen Imperativs, wie ihn zuerst Immanuel Kant entwickelt hat.

Somit erscheint Handeln bezüglich des Weltklimas moralisch, wenn Akteure sich ernsthaft und glaubwürdig um ein Verhalten bemühen, mit dem durch Erderwärmung nachteilige Folgen für anderen Menschen auf dem Planeten erwachsen. Ebenso erscheint es moralisch geboten, für nachteilige Folgen, an deren Verursachung man beteiligt ist, Verantwortung zu übernehmen. „Erscheint“, denn eine autonome Moral, um die es hier geht, mutet allen Akteuren zu, erhobene Ansprüche jederzeit und gegenüber jedermann/frau zu begründen. Diese Art von Moral kann nicht auf nicht hinterfragbare Gebote bauen, wenn sie kulturunabhängig, global überzeugen soll. Sie bleibt an kommunikative Klärungsprozessen zwischen Akteuren gebunden, die gehalten sind, sich als prinzipiell Gleiche anzuerkennen. Eine „Klimamoral“ unterstellt damit auch die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Position der jeweils Anderen zu versetzen. Die Verantwortlichen eines verursachenden Staates müssen imstande und vor allen Dingen bereit sein, sich in die Lage etwa des Tchad oder anderer Sahel-Länder versetzen, zu deren Ausdörrung und fortschreitender Wüstenbildung sie durch die Generierung von Treibhausgasen beitragen – und damit praktische Verantwortung zu übernehmen. Oder: Die im gemäßigten Klima Europas Lebenden müssen sich virtuell in die dramatische Notlage von Bengalen versetzen können, die infolge des ansteigenden Meeresspiegels und extremer Stürme Land und Heimat verlieren; und sich vergegenwärtigen, welche Erwartungen sie aus dieser „Rolle“ gegenüber sich als indirekt Mitverantwortliche hätten .

Eine solche Klimamoral erscheint auf den ersten Blick illusionär. Rücksicht zu nehmen auf die Interessen aller, insbesondere auf zu vermeidende oder verursachte Notlagen, ist ein sehr hoher Anspruch. Wir mögen konstatieren, dass es ungerecht und unmoralisch ist, wenn die Generierung von Treibhausgasen durch unsere community die Lebensumstände in anderen communities verschlechtert. Wir können uns vielfach auch vergegenwärtigen, dass sich damit die Verhältnisse in unserer community in einer nicht fernen Zukunft verschlechtern werden. Im zweiten Fall scheint die Klimamoral noch durch Eigeninteresse unterfüttert.

Doch in keiner der genannten Konstellationen trifft der Klimawandel die Akteure, zumindest nicht unmittelbar. Menschen, die in anderen Regionen leben oder später Geborene in unserer Region haben unter den verursachten Kalamitäten zu leiden. Moralisches Handeln im Klimawandel bringt unmittelbar zumeist keinen erkennbaren Nutzen. Es kann kurzfristig selbst zu deutlichen Nachteilen führen, etwa wenn es um finanzielle Transfers in besonders geschädigte Regionen oder um die Aufnahme von Klimaflüchtlingen geht. Hinzu kommt, dass viele der verursachenden Region weit weniger unter dem zu erwartenden Klimawandel zu leiden haben. So gibt es in Russland Viele, die darauf setzen, dass ein eisfreies Polarmeer, die Verschiebung der Getreideanbaugrenze nach Norden, wie überhaupt ein milderes Klima wirtschaftliche Vorteile erwarten lassen. Der brutheisse Sommer 2010 in Russland mit seinen großflächigen Waldbränden hat allerdings bei manchen Klimawandel-Befürwortern Nachdenken ausgelöst.

Dennoch kann klimamoralisch mit Verweis auf Vorteile oder die Vermeidung von Nachteilen argumentiert werden. In Deutschland etwa erfreut sich der Hinweis inzwischen parteiübergreifender Beliebtheit, dass eine Nation im weltwirtschaftlichen Wettbewerb die Nase vorn hat, wenn sie sich möglichst frühzeitig und zügig fast gänzlich auf dauerhafte Energieträger umstellt. So förderlich dieses Argument ist, in moralischer Sicht greift es zu kurz. Wettbewerbsvorteile sind nur dann zu erwarten, wenn andere Länder eine klimagerechte Energiewende verzögern oder hierin langsamer sind. In der Globalbilanz einer klimaverträglichen Politik wäre die Wirkung denkbar gering. Es sei denn, der Avantgardismus wird als beispielgebende Politik verstanden, die andere Staaten ermutigt, denselben Weg zu bestreiten. Der kategorische Imperativ einer universalistischen Moral erhielte so eine interessante Wendung: Gehandelt wird in der ausdrücklichen Absicht, andere von der Verallgemeinerungsfähigkeit klimaverträglicher Wirtschaft- und Gesellschaftsreform zu überzeugen. Im Kern hat sich auch der berühmt gewordene Report des englischen Ökonomen Stern dieser Logik bedient; indem er nämlich darlegte, dass ein Versäumnis konsequent und zügig betriebenen Klimaschutzes zu solchen Schadensakkumulationen führt, dass es wirtschaftlich um ein Vielfaches teurer wird.

Würden wir in einer stabilen Welt leben, hätte diese Version von Klimamoral ihren Reiz. Sie verbindet Moral mit Nützlichkeitserwägungen und erhöht so die Chance, dass moralische Gründe, sich klimagerecht zu verhalten, Wirkung entfalten. Unsere Welt ist aber nicht stabil. Der Jahrzehnte andauernde Raubbau an fossilen Energieträgern hat dazu geführt, dass wir bereits in einem sich beschleunigenden Klimawandel leben. Dieser Prozess hat unverkennbar bereits dramatische Folgen, wie Stürme von bisher unbekanntem Ausmaß, fortschreitende Wüstenbildung und der Zwang zu klimabedingter Flucht und Abwanderung, deren Ausmaß UN-Gremien bereits auf eine zweistellige Millionenhöhe schätzen. Moralische Ansprüche im Umgang mit Klimawandel können sich so nicht mehr auf die „Hausaufgaben“ etwa einer innerstaatlichen Solarwende beschränken, sie schließen eine internationale Verantwortung für bereits mitverursachte Veränderungen und Schäden mit ein.

Klimamoral bezüglich dieser Verantwortung kann mit Nützlichkeitserwägungen erst einmal nicht gerechtfertigt werden. So gibt es gute Gründe, von den industriellen Kernländern zu verlangen, dass sie etwa die Hälfte der Erlöse aus Emissionszertifikaten – allein aus Deutschland eine bereits zweistellige Milliardensumme – für die „Begleichung“ ihrer globalen Verantwortung verfügbar machen. Mit starken Argumenten wird ebenso aus den am geringsten entwickelten Ländern verlangt, dass die verantwortlichen Länder des globalen Norden Reparationen für bereits erlittene Schäden zahlen. Solche Ansinnen sind in einer universalistischen Moral gut begründbar, bieten aber ihren Adressaten unmittelbar keine Vorteile, vielmehr eindeutig Nachteile. Dass die moralischen Gründe eine entsprechende Handlungsbereitschaft wecken, muss bezweifelt werden. Ähnliches gilt für die Aufnahmebereitschaft von Klimaflüchtlingen. Moralisch überzeugend kann dargelegt werden, dass wir Menschen aufnehmen oder ihnen zumindest wirksame Hilfe gewähren sollten, wenn sie ihren Lebensraum infolge unserer Wirtschafts- und Lebensweise verloren haben. Doch dass der moralisch begründbare Anspruch eine Bereitschaft zu entsprechendem Handeln schafft oder erhöht, muss bezweifelt werden. Viel wahrscheinlicher ist, dass hier moralische Einsicht schlicht verweigert, vielmehr Abwehrmaßnahmen gegen Klima-Migranten getroffen werden, wie sie die „Festung EU“ gegenwärtig gegen Bootsflüchtlinge vor allem aus Afrika trifft.

Indirekte Nützlichkeitserwägungen zur Stärkung moralischer Argumente sind allerdings möglich: Der Klimawandel macht das gesellschaftliche Zusammenleben instabiler und konfliktanfälliger. In den kommenden Jahrzehnten führt fortschreitender Klimawandel unweigerlich dazu, dass zahlreiche dicht bevölkerte Küstenstädte dauerhaft überflutet werden, mit dem Rückgang der Himalaya-Gletscher die Wasserführung der lebenswichtigen Flüsse in den vielleicht von mehr als einer Milliarde Menschen bewohnten Regionen südlich und westlich des Gebirges stark zurückgeht, dass der größte Teil des Sahel unbewohnbar wird, dass die Trinkwasserversorgung in vielen Regionen ganz zusammenbricht. Solche dramatischen Veränderungen vollziehen sich häufig in Gesellschaften und Staaten, die ohnehin von gesellschaftlichen Konflikten und Bürgerkriegen heimgesucht sind und die kaum funktionsfähigen Staatsstrukturen haben. Hier ist mit gesteigertem Massenelend ohne nur annähernd zureichende Hilfe, verschärften Sozialkonflikten, Staatszerfall und einer Eskalation von Gewalt und Krieg zu rechnen. Von solchen Entwicklungen wird der vergleichsweise saturierte globale Norden nicht verschont bleiben. Wir leben in e i n e r Welt und können uns den Folgen soziale Katastrophen anderenorts immer weniger entziehen. Ebenso werden krasse globale Ungerechtigkeiten und die Mitverantwortung für Verelendung den negativ davon Betroffenen in einer Welt immer offenkundiger, die durch elektronische Informationsträger dicht und nahezu flächendeckend vernetzt ist. Das Internet selbst kann zum Anstoß und „Treiber“ globaler gesellschaftlicher Konflikte werden.

Solche Nützlichkeitserwägungen können moralische Handlungsgründe im Klimawandel plausibler machen. Neben den räumlichen schränken jedoch die zeitlichen Abstände ihre Wirkungschancen ein. Zwar leben wir bereits in der sozialen Klimakrise, ihre dramatische Verschärfung ist jedoch erst „in Zukunft“ zu erwarten. Diese Kautele(?) dämpft die Handlungsbereitschaft. Niemand kann genau sagen, ob weit dramatischere Klimafolgen mit den gefürchteten „tipping points“ sich selbst verstärkender Effekte in 5, 10, 20 oder 50 Jahren eintreten werden. Auch die Prognosen der Klimaforschung sind „nur“ Wahrscheinlichkeits-Annahmen, die sich nicht zuverlässig quantifizieren lassen. Die Analysen des IPCC kommen nur scheinbar zu dem präzisen Ergebnis, dass ein keinesfalls mehr „beherrschbarer“ Klimawandel mit einer Wahrscheinlichkeit von 66% noch zu vermeiden ist, wenn sich die Menge des noch durch Verbrennung weltweit emittierten Kohlendioxid von 2010 bis 2050 auf 750 Mrd. Tonnen beschränkt. Immerhin ein „russisch Roulette“ mit drei Patronen, darunter einer scharfen . Aber zugleich eine Schätzung mit so vielen Unsicherheitsfaktoren, dass die Probabilität von „66%“ mehr den Charakter einer veranschaulichenden Eselsbrücke als den einer wirklich zuverlässigen Berechnung hat. Die nicht zu vermeidenden methodischen Ungenauigkeiten, wie das Arbeiten mit nur „wahrscheinlichen“ Zukunftsprognosen, macht diese weniger bedrohlich. Wir spielen das russische Roulette nicht heute, sondern verlagern es in eine Zeit, die nur die Jüngeren unter uns noch erleben können. Solche impliziten Zukunftsverschiebungen wirken entlastend. So wie der Gedanke, dass wir nicht wissen, wann wir sterben, zumeist wenig bedrohlich ist – obwohl wir doch wissen, dass uns der Tod sicher bevorsteht.

Klimamoral ohne festen Grund?

Nützlichkeitsgründe führen also nicht weit. Allein durch sie werden moralische Gründe nicht handlungswirksam. Und: Wären sie durchschlagend, würden sie die moralische Dimension des Handelns im Klimawandel zugleich aufweichen. Moralisch ist Handeln nicht, weil es gut für den Handelnden, sondern weil es für sich genommen gut ist, weil es allgemein anerkannt so geboten ist. Wenn wir der mögliche Handlungswirksamkeit von Klimamoral nachspüren, sollten wir uns besser die Struktur moralischen Handelns selbst ansehen. Einen Hinweis gibt hier der soziale Druck, die contrainte sociale, von dem wir eingangs als Merkmal moralischen Handelns sprachen. Wir können davon ausgehen, dass eine Moral wirkliches Sozialhandeln um so mehr beeinflusst, je ausgeprägter ein solcher sozialer Druck ausgeübt wird. In einer vom Islam geprägten Gesellschaft wird das Schweinefleischverbot, die Fastenzeit des Ramadan oder das Verbot von Alkoholgenuss dann häufig und konsequent beachtet, wenn ein starker sozialer Druck, solches zu tun bzw. zu unterlassen, vorhanden ist. Dabei unterscheidet die moralische von einer rechtlichen Regelung, dass sie unabhängig von Sanktionen einer staatlichen Institution wirkt. Sie ist zum einen durch soziale Sanktionen oder Gratifikationen erzwungen; vor allem aber ist sie typischerweise im Selbstbild und in der Selbstachtung der Personen internalisiert. Es ist Teil der Identität und des Selbstwertgefühls von Menschen, wenn sie entsprechend der moralischen Regeln einer community handeln.

Dieser community-Bezug fehlt jeder universalistischen Moral, so auch einer Klimamoral. Ihre Stärke der Allgemeingeltung und der nicht-dogmatischen jederzeitigen Begründbarkeit definiert zugleich ihre Schwäche. So gibt es zwar gute Argumente dafür, dass die Erklärung der Menschenrechte wechselseitige Ansprüche von Personen und Grenzen wie Gebote staatlichen Handelns formuliert, die überall und geschichts- wie kulturunabhängig Geltung beanspruchen können. Zugleich wissen wir aber, dass diese Rechte ständig und überall missachtet werden. Und wir müssen zugestehen, dass es in aller Regel den sozialen Druck nicht gibt, der erfolgreich auf ihre Einhaltung dringt. Die Einhaltung einer Moral wird durch den Zusammenhalt einer community ermöglicht, als die im Fall einer universalistischen Moral wohl nur die Gemeinschaft der Menschen auf dieser Erde in Frage käme. Jede Begründung von Rechten und Verantwortungen im Klimawandel nimmt auf die Vorstellung einer solchen globalen Gemeinschaft Bezug.

Ein inzwischen klassischer Fall dafür ist der egalitäre Ansatz in der Gewährung von Emissionsrechten. Allein nach Regeln distributiver Gerechtigkeit bedürfte es zusätzlicher Begründungen, wenn Menschen ein Recht auf mehr Kohlendioxid-Emissionen – mit den bekannten nachteiligen Folgen – in Anspruch nehmen, als sie anderen zugestehen. Solange das nicht der Fall ist, gilt auf moralischer Sicht ein gleiches Emissionsrecht für alle.

Auf Sinn und Grenzen des egalitären Emissionsprinzips bin ich bei anderer Gelegenheit eingegangen . Hier dient es der Illustration, dass eine Beziehung auf mögliches Handeln aller lebenden Menschen vorausgesetzt ist. In diesem Sinn wird eine universelle Gemeinschaft unterstellt – und im selben Atemzug relativiert. Denn sofern wir keine humanitären Träumer sind, müssen wir zugeben, dass es die Weltgemeinschaft als gesellschaftlichen Verbund real bisher nicht gibt. Wir können auf die UNO, ihre Institutionen und verwandte Einrichtungen verweisen, die alle anerkánnten Staaten einbeziehen. Diese transstaatlichen Institutionen haben ihre Regeln und sie können partiell auch für die Beachtung universalisierbarer moralischer Grundsätze sorgen, sofern diese kodifiziert sind. Aber sie sind keine community, die den zur Wirksamkeit einer Moral nötigen Druck entfalten kann.

Auf den ersten Blick ist das ein deprimierendes Ergebnis. Moralischen Regeln von begründbarem Allgemeinheitsanspruch mangelt es an der möglichen Durchsetzungskraft einer kommunitären Moral. Auf unser Thema bezogen: Ansprüche an klimabezogenes Handeln, die sich innerhalb spezieller communities bis hin zu Staaten stellen, entfalten zu ihrer Realisierung weit mehr Druck als Zumutungen, welche die Zukunft und das Wohlergehen der Menschheit insgesamt angehen. Und bekanntlich kollidiert eine klimagerechte Moral in vielfacher Hinsicht mit spezifischen Gewohnheiten im Alltagsleben und Wirtschaftshandeln. Eine kommunitäre Moral bewertet häufiges Autofahren und Fliegen nicht, oder nur sehr bedingt, negativ – aus Sicht einer universellen Klimamoral wäre beides stark zu begrenzen. Doch die Chance, dass sich ihre Sicht und ihre Urteilsmaßstäbe gegen die kommunitäre Sicht durchsetzt, ist bekanntlich verschwindend gering.

Vielleicht ist es aber überhaupt ein Fehler, eine kulturspezifische mit einer universellen Klimamoral hinsichtlich von Nützlichkeitserwägungen und der Realisierbarkeit über sozialen Druck und soziale Kontrolle zu vergleichen. Vielleicht zeichnet sich eine Moral des klimagerechten Handelns, wie überhaupt eine Moral der Menschenrechte, dadurch aus, dass sie sich von beidem löst. Möglicherweise geht es in dieser Moral weder um Nutzen, um Vorteile und konformes Verhalten in einer in diesem Fall mehr imaginären humanen Weltgemeinschaft. Vielleicht ginge mit der Unterwerfung letztlich unter soziale Zwänge gerade das Element der freien Selbstbestimmung verloren, welches moralisches Handeln ebenso auszeichnet, wie seine Begründungsfähigkeit und Universalisierbarkeit. Eine Moral, die über soziale Kontrollen und ihre Verinnerlichung in Sanktionsfurcht, aber auch Selbstachtung und gewissen wirkt, gerät immer in den Geruch eine Zwangsjacke zu sein, die entmündigt. Wenn wir an der Idee einer Moral in freier Selbstbestimmung festhalten, ist ein Moralkonzept, das wie eine heteronome Moral Handlungswirksamkeit verspricht, gerade nicht geeignet.

Die Wirksamkeit einer Klimamoral wäre also, wenn überhaupt, in anderer Weise zu klären. Wenn klimagerechtes Handeln über soziale Kontrolle durchgesetzt wird, mag das effektiv erscheinen; aber würden wir dieses Handeln dann noch uneingeschränkt „moralisch“ nennen? Eine nicht fremdbestimmte Moral, die überhaupt erst die Chance einer kulturunabhängigen Allgemeingeltung eröffnet, setzt eine Haltung der „universellen und gleichen Achtung“ aller Menschen voraus. Sie bezieht sich „ auf Rahmenbedingungen, die einzugehen Menschen motiviert sind, wenn sie sich einfach nur als miteinander leben wollende Menschen verstehen“ .

Eine universelle Moral hat nur die Chance, durch die Kraft der begründeten Überzeugung zu wirken. Die Chancen der tatsächlichen Wirkung sind zugegebenermaßen nicht groß, vor allem weil durchschlagende Wirkung erst dann gegeben ist, wenn eine sehr große Zahl der Menschen dem folgt. Ihr Tun würde sich etwa an der Maxime orientieren: „Handle so (allen gegenüber) wie du aus der Perspektive einer beliebigen Person wollen würdest, dass alle handeln“. Wer aus dieser Sicht eines „verallgemeinerten Anderen“ handelt, ordnet sich dadurch einer moralischen Gemeinschaft zu, welche die Menschheit als Ganzes umfasst. Die Formulierung „alle Menschen sind Brüder“, besser „sind Geschwister“, bringt die Erweiterung eines ursprünglichen wechselseitigen Verpflichtung, wie sie in der Primärgruppe einer Familie erwartet wird, zu einem universellen Geltungsbereich treffend zum Ausdruck. Die Orientierung an der „Gemeinschaft aller“ sperrt sich dabei gegen jeden Versuch, dieses Moralkonzept für zwingend oder auch nur – wie Immanuel Kant – zur Pflicht für jedes vernunftbegabte Wesen zu erklären, sofern dieses sich überhaupt als moralisch Handelnde/r versteht. Es ist eine selbstbestimmte Entscheidung eines oder einer jeden, sich als Mitglied einer universellen Gemeinschaft und ihren auf Gegenseitigkeit und gleicher Achtung gründenden Ansprüchen zu verstehen. „So schwach ist nun einmal die Basis (der universellen/autonomen) Moral, und es hat sich in der Geschichte immer wieder gezeigt, dass kein Versuch, sie künstlich stärker erscheinen zu lassen als sie ist, die Menschen eher dazu bewegt hat, moralisch zu sein“ .

Wenn wir uns über moralisches Handeln im Klimawandel unterhalten, setzen wir voraus, dass Veränderungen des Klimas und ihre Folgen zum mindesten alle Menschen der Gegenwart wie in der näherliegenden Zukunft etwas angehen. Wenn sich die Lebensverhältnisse dadurch zu verschlechtern drohen, ist das ein hinreichender Grund, das aus moralischer Sicht zu verwerfen und alles daran zu setzen, das möglichst schnell und gründlich zu unterlassen. Ganz unabhängig davon, ob wir tatsächlich so handeln.

Ebenso setzen wir die Idee einer humanen Weltgemeinschaft voraus, ohne dabei zu unterstellen, dass diese Gemeinschaft – wie nur ansatzweise über die UNO der Fall –institutionell organisiert ist. Wenn wir Hilfsansprüche der Opfer von Klimawandel ernst nehmen, unterstellen wir damit nicht, dass sie diese Erwartung in einer moralischen Gemeinschaft formulieren und dass entsprechend sozialer Druck ausgeübt wird. Wir akzeptieren diese Ansprüche einfach, weil sie Menschen wie wir sind, wie wir ebenso in einer ihnen vergleichbaren Lage solche Ansprüche erheben würden. Auch diese moralische Regel gilt unabhängig davon, ob sie wirklich befolgt wird.

Eine universelle Klimamoral muss also ihre (Überzeugungs-)Kraft aus der Selbstbestimmtheit und gegenseitigen Anerkennung von Menschen als Gleicher und als alle, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß, von Klimawandel Betroffene beziehen. Ob sie damit in nennenswerter Weise tatsächliches Handeln beeinflussen kann, bleibt zunächst mehr als fraglich. Moralische Autonomie kann aus diesem Dilemma keinen Ausweg weisen.

Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir die Überzeugungskraft der Moral konsequent von der Frage ihrer Handlungswirksamkeit trennen und letztere fürs erste nicht im Lichte moralischer Ansprüche sehen. In diesem Fall beschränken wir uns auf die Frage, wie klimagerechtes Handeln politisch wie institutionell durchgesetzt werden kann. Eine Ethik im Klimawandel hilft nur in der Klärung von Normen und Maßstäben, wie sie unabhängig von spezifischen Zugehörigkeiten und Loyalitäten verallgemeinerbar sind. Das ist allein nicht wenig. Die Klimamoral ist so eine Art klärender Leuchtturm. Ihre Lichtzeichen zeigen, sofern wir moralisch selbst-, nicht fremd-bestimmt handeln wollen, wohin unsere Boote in den sich steigernden Stürmen des Klimawandels zu steuern, und zwar gemeinsam zu steuern wären. Die Mühen des Ruderns sind dadurch in keiner Weise ersetzt. Und vor allem nicht die Einigung über den jeweils einzuschlagenden Kurs. Der Kurs könnte den Lichtzeichen der universellen Moral folgen, oder sich im Versuch verlieren, eine Quersumme aus unterschiedlichen Ansprüchen jeweils partikulärer „Moralen“ zu bilden.

Weltklimakonferenzen in der moralischen Falle

Von einem gemeinsamen, geschweige einem wirkungsvollen Kurs in der Weltklimapolitik ist die Menschheit himmelweit entfernt. Seit Jahren wachsen klimaverändernde Emissionen beschleunigt an, werden Wälder und Feuchtgebiete vernichtet, expandiert eine auch klimabelastende Intensiv-Landwirtschaft. Eine Trendwende ist nicht in Sicht, vielmehr nimmt die Menge der generierten Treibhausgase beschleunigt zu. Auf bis heute 16 Weltklimakonferenzen kam, vom zeitlich wie in der Teilnehmerzahl begrenzten Kyoto-Protokoll von 1997 abgesehen, kein handfestes Ergebnis zustande. Erst in Cancún 2010 hat man sich auf das letztlich unverbindliche zwei-Grad Ziel bis 2050 (maximaler Temperaturanstieg, gerechnet ab 1900) geeinigt, wobei zugleich klar ist, dass die bisherigen einzelstaatlichen Verpflichtungen lange nicht ausreichen, diese Schwelle auch nur annähernd einzuhalten. Es wurde in Kopenhagen 2009 und in Cancún zwar vereinbart, dass die reichen Ländern den besonders betroffenen und für den Klimawandel nicht verantwortlichen Regionen ab 2020 mit jährlich 100 Mrd. Dollar helfen; aber es ist völlig unklar, ob und wie die dafür gefragten Länder die Summe liefern und nicht zum Beispiel mit ihren Etats für Entwicklungszusammenarbeit verrechnen werden.

Von den vielfachen Gründen, die für die Lähmung einer Weltklimapolitik zu nennen sind, halte ich die „Konzeptfalle“, wie Hermann Scheer die wechselseitige Lähmung durch den erforderlichen Konsens nannte, für zentral . Die Situation, in der sich die Staatengemeinschaft befindet, hat Ähnlichkeiten mit dem spieltheoretischen Gefangenendilemma. Wenn es im globalen Klimaschutz nicht vorangeht, müssen alle zukünftig verstärkt Nachteile für ihr Land befürchten. Allerdings sind die erwarteten und vor allem die vermeintlichen Nachteile sehr unterschiedlich gewichtet. Einige Regierungen können sich sogar in der allerdings illusionären Hoffnung wiegen, dass der Klimawandel für ihr Land überwiegend vorteilhaft sei. Dagegen müssen andere Staaten davon ausgehen, dass sie vom steigenden Meeresspiegel entweder vollständig oder in großen Teilen dauerhaft überflutet werden.

Die unterschiedliche Ausgangslage, gefördert durch Illusionen und Verdrängungen, ist denkbar ungünstig, um zu einer Einigung zu kommen, die noch dazu konsensuell erfolgen soll. Hinzu kommt, dass die für wirksamen Klimaschutz gefragten Aktivitäten von der großen Mehrheit der Akteure als nachteilig eingeschätzt werden. Es trifft zwar zu, dass in einer konsequenten Solarwende, dem Schutz der Wälder und in einer umweltverträglich gestalteten Landwirtschaft große gesellschaftliche wir wirtschaftliche Chancen liegen; wahrgenommen wird das jedoch von der überwältigenden Mehrheit der verhandelnden Regierungen keineswegs, sondern umgekehrt wirtschaftlicher Niedergang befürchtet. Außerdem wird sich die Staatengemeinschaften über jeweils unterschiedliche Aufgaben und Lastenverteilungen, und das wiederum im Konsens, einigen müssen.

Die Hürden für eine wirkungsvollen Vereinbarung sind struktureller Art. Sie schließen eine gelingende Vereinbarung nicht aus, führen aber aller Voraussicht nach im besten Fall nur zu Minimalkonsensen, die weit hinter das zurückfallen, was für wirkungsvollen Klimaschutz und Klimagerechtigkeit geboten wäre. Dass hier keine Schwarzmalerei betrieben wird, zeigt die weitgehende Stagnation und der im besten Fall nur schleppende Gang der Weltkonferenzen seit 1992, und zwar, obwohl zu ihnen pro Jahr mehrfach Vor- und Vorbereitungs- Konferenzen stattfinden. Verhandlungsaufwand und Verhandlungsergebnis stehen in einem extremen Missverhältnis, das in seinem Ausmaß schwer zu ertragen ist.

Gibt es Auswege aus diesem Dilemma – und: hätte das überhaupt, und wenn ja, was, mit einer Ethik im Lichte eines sich vollziehenden Klimawandels zu tun? Wir können das Problem auch als ein Gegeneinander von moralischen Orientierungen verstehen, zwischen einer Schrumpfform partikularistischer „Moralen“ und einer Idealform universalistischer Moral. Wir matchen es uns zu einfach, würden wenn wir den Akteuren der Einzelstaaten unterstellen, sie handelten amoralisch oder unmoralisch. Der Maßstab, den wir dabei anlegten, wäre die autonome Moral, aber an dieser orientiert sich das Pokerspiel der Staatsakteure auf den Konferenzen ja nicht. Dass ihnen Ansprüche einer universalisierbaren Moral, auch wenn sie dieser nicht folgen, nicht geläufig sind, können wir auch nicht unterstellen. Allein mit der Konferenzteilnahme haben sich die Akteure prinzipiell auf den zunächst gänzlich abstrakten Anspruch eingelassen, sich um ein gemeinsames Handeln zur Abwendung eines extremen Klimawandel und um Hilfe für davon betroffene Regionen und Menschen zu bemühen. Prinzipiell, denn wir können natürlich nicht ausschließen, dass dieser Gesichtspunkt manchen Akteuren vollständig gleichgültig ist und sie nur dabei sind, um mit im Spiel zu sein oder um überhaupt eine Einigung zu sabotieren. Doch allein, dass sie sich zumindest äußerlich auf das „Konferenzspiel“ einlassen müssen, um dabei zu sein, zeigt, dass ihnen Ansprüche einer universalistischen Moral geläufig sind.

Die Frage ist also, warum solche Ansprüche für sie gänzlich irrelevant, nur marginal oder zwar ernst genommen, aber letztlich nicht wirksam sind. Ich habe behauptet, dass sie dabei nicht notwendig unmoralisch handeln, sondern in der Regel einer jeweils partikularistischen Moral folgen. Im günstigsten Fall vertreten sie die Interessen des von ihnen regierten Landes und erheben zumindest den Anspruch, dabei das Wohl der BewohnerInnen im Auge zu haben. Man kann das natürlich bezweifeln und etwa bei Autokraten unterstellen, dass es ihnen nur um die Macht und das Wohl einer politischen und ökonomischen Führungsclique gehe. In diesem Fall ist die Moral, der gefolgt wird, quasi substaatlich partikularistisch. Ebenso kann bei Demokratien nach heutigen Maßstäben angenommen werden, dass ein Agieren zur Sicherung von nationalem Wohlstand und nationaler Wirtschaftsinteressen wesentlich dazu dienen soll, eine Wiederwahl nicht zu gefährden. In dem Fall hat das Agieren zwar andere Motive, ist aber gleichwohl an einer partikulären Staatsmoral orientiert.

Der Weltklimaschutz befindet sich also, sofern von den Vertretern von jeweils souveränen Staaten wahrgenommen, in einer auch moralischen Konzeptfalle. Gefragt ist die allen prinzipiell geläufige universalistische Moral, agiert wird jedoch im Lichte einer jeweils staatsspezifischen Moral, die es schwer bis unmöglich macht, über einen immer unzureichenden Minimalkonsens hinaus zu gelangen. Dabei hat die je partikulare Moral den so entscheidenden wie für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit tödlichen Vorteil, dass sie den sozialen Druck und die gesellschaftliche Kontrolle – entweder allgemein oder durch Cliquen – hinter sich weiß. Dieser handlungsentscheidende Treiber fehlt einer universellen Klimamoral – jedenfalls zunächst.

Ist das skizzierte Dilemma einer vereinbarten Weltklimapolitik unüberwindbar? Ist der sich aufdrängende Pessimismus bezüglich einer Moral der Klimagerechtigkeit zwingend? Zumindest ein Zeichen der Hoffnung ist darin zu sehen, dass es auf der nicht-gouvernamentalen Ebene inzwischen fast überall auf der Welt vielfältige Aktivitäten gibt. Es existiert durchaus eine weltweite zivilgesellschaftliche Bewegung, die ausdrücklich und in den meisten Punkten konsensuell Ansprüche einer universalistischen Klimamoral einfordert. Die Wirkung dieser Bewegung hält sich in engen Grenzen, sollte aber auch nicht unterschätzt werden. Das zeigt sich daran, dass inzwischen jede Weltklimakonferenz von stark frequentierten Gegenkonferenzen begleitet wird und dass es inzwischen eine allerdings nicht entscheidungsrelevante Konferenz-Beteiligung von Akteuren aus in Klimaschutz und Klimagerechtigkeit engagierten NGOs institutionalisiert ist. Die universalistische Moral wird also auf den Konferenzen unüberhörbar vertreten, auch wenn sie kein formelles Verhandlungsmandat und allein deshalb keine Durchsetzungskraft hat.

Zum zweiten gibt es mit der Struktur von Weltklimakonferenzen ein „Gelegenheitsfenster“, Ansprüche der Klimamoral weitergehender institutionell zu verankern. Organisator und überwölbendes Dach jeder Konferenz ist die UNO, in diesem Fall die innerhalb der UNO beauftragte UNFCCC. Die UNO kann staatliche Souveränität nicht entkräften oder zumindest relativieren, sie hat aber eine anerkannte moralische Autorität. Zum zweiten ist es, wie oben dargelegt, augenscheinlich so, dass es nicht zu einem dem Risiko des Klimawandels angemessenen Weltvertrag aller – oder doch nahezu aller – Staaten kommen wird, wenn die staatliche Entscheidungsmacht mit ihrem immer partikulären Interessenverflechtungen in dieser für alle zukunftsentscheidenden Frage nicht relativiert wird. Das „für alle zukunftsentscheidend“ könnte den Anstoß geben für einen gemeinsamen Souveränitätsverzicht aller Staaten in der Konzipierung einer globalen Vereinbarung zum Klimaschutz und zur Klimagerechtigkeit. Die Klärung dieser – noch einmal: zukunftsentscheidenden – Frage kann an ein Gremium delegiert werden, von dem mit Gründen erwartet werden kann, dass es sich konsequent an Maßstäben einer universalisierbaren Moral orientiert, statt durch die jeweils partikuläre „background-Moral“ ihrer Mitglieder zerrissen und gelähmt zu sein.

In ganz anderer und durch Machtinteressen depravierter Form gibt es seit Gründung der UNO eine solche Delegierung mit dem Sicherheitsrat. Er entscheidet mit zweidrittel Mehrheit und dem Privileg der fünf Vetomächte, ob in bestimmten Fällen staatsübergreifende Sicherheitsinteressen berührt sind und entsprechend zu reagieren ist. Das kann und soll kein Vorbild für ein Weltklima-Gremium sein, zeigt aber formal, dass es staatsübergreifende Institutionen mit verbindlicher Beschlusskompetenz gibt. Als Analogon für einen Weltklimarat weit besser geeignet sind Institutionen wie der internationale Strafgerichtshof. Wer sich schwerwiegender Verletzungen der Menschenrechte schuldig macht, kann sich nicht mehr unter dem Schutzmantel staatlicher Souveränität sicher fühlen sondern muss damit rechnen, nach Regeln des Völkerrechts prozessiert und verurteilt zu werden.

In ähnlicher Weise kann die Bildung eines Weltklimarats ein Schritt sein, um das Dilemma der einzelstaatlichen Interessen und ihrer gegenseitigen Blockade zu überwinden. Da es in diesem Beitrag nur um die prinzipielle Durchsetzbarkeit einer Klimamoral mit begründetem Universalitätsanspruch geht, wäre es überzogen, zu Weg und Art der Zusammensetzung eines Weltklimarats irgendwelche definitiven Aussagen zu treffen. Daher nur zur Erläuterung: Sinnvoll wäre vielleicht, wenn der Rat durch den UNO-Generalsekretär nach zuvor vereinbarten Regeln eingesetzt würde. Als zu nominierende Personen kämen herausragende Akteure der globalen Klimaforschung, weltweit anerkannte Gesellschaftswissenschaftler und Philosophen wie Vertreter der Weltreligionen in Betracht. Möglich ist auch eine Auswahl unter Friedens-NobelpreisträgerInnen.

Das sich immer mehr verdichtende katastrophale Ausmaß des Klimawandels und seiner Folgen kann heute nur noch verdrängt, nicht aber mehr ernsthaft geleugnet werden. Daher ist die Bildung eines Weltklimarats eine keineswegs nur utopische Option. Wer sie als völlig unrealistisch abtut, muss darlegen können, wie sonst die Konzeptfalle in globalen Verhandlungen überwunden werden kann. Sicher enthält der vorgeschlagene Weg autoritative Aspekte, im übrigen eine Paradoxie für den Ansatz einer autonomen Moral, welcher Selbstbestimmung und Mündigkeit aller Akteure unterstellt. Aber ist es nicht viel autoritärer, wenn wir das Schicksal der Erde und der Menschheit letztlich einer Handvoll von Staatsführern überlassen, die vorwiegend durch partikuläre Machtinteressen geleitet sind? Ist es nicht weit weniger autoritär, wenn wir die Sache an Menschen delegieren, die durch Sachkenntnis, Einsichtsfähigkeit, voraussichtlich wenig Eigeninteressen und nicht von machtpolitischen Erwägungen geleitet sind?

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